Ungeschminkt – auf neues Terrain

(1980 / 2009) Tangram / Indigo 929872

Junge Wilde statt alter Dichterfürsten
Auf ‚Ungeschminkt‘ habe ich das erste Mal mit Schriftstellern meiner Generation gearbeitet. Jörg Fauser, Peter Paul Zahl und Jürgen Theobaldy, um nur einige zu nennen.

Ich wollte mich nämlich nicht so recht damit abfinden, in eine Schublade mit der Aufschrift „Rockender Hans Albers“ gesteckt zu werden.

Und weil ich davor mit den Klassikern gut harmonierte, schien es mir folgerichtig, mich auf die Suche nach Gegenwarts-Dichtern zu machen. Damals hat mir ein guter Freund (Klaus Humann, seines Zeichens Buchverleger) einen Stapel Gedichtbände in die Hand gedrückt, mit den Worten: „Da guck Dich mal um.“ Dazu besorgte er mir auch gleich noch die Telefonnummern der entsprechenden Autoren und ich rief die für mich interessanten Leute an.

Neue Allianzen
„Hallo, ich bin der Achim Reichel. Könnt Ihr Euch vorstellen, Songtexte für mich zu schreiben?“ Die meisten konnten. Jörg Fauser sagte beispielsweise: „Na klar, was für eine tolle Sache. Weißt Du, Gedichte hört man doch sonst nie im Radio.“

Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Autoren gestaltete sich sehr unterschiedlich. Von manchen suchte ich mir bereits existierende Werke aus und vertonte die. Andere schrieben eigens neue Texte für das entstehende Album. Das waren spannende Schaffensprozesse und ich lernte dabei interessante Persönlichkeiten kennen. So habe ich damals Peter Paul Zahl in Berlin getroffen. Ziemlich interessanter Kerl. Er wurde als Terrorist verurteilt und lebte nach seiner Haftstrafe in Jamaika, wo er im Januar 2011 verstarb [Wikipedia: Peter-Paul Zahl].

Bei der Arbeit an der Platte musste ich auch feststellen, dass (lebende) Schriftsteller häufig schwierige Menschen sind. Was man mir mal so erklärte, dass hier eben Künstler am Werk sind, die monatelang ihre Zeit mit einer Schreibmaschine (damals gab es noch keine PCs) und einem leeren Blatt Papier verbringen und dadurch in ihrer Kommunikation nach Außen etwas beeinträchtigt sind.

Einstieg in die Gegenwarts-Kultur
‚Ungeschminkt‘ war mein Einstieg in moderne Sprachkultur. Aber auch inhaltlich hatten die Autoren mir eine Menge zu geben. Ich habe diese junge Schriftstellergarde schon deshalb so interessant gefunden, weil die eine große Affinität zu den Schriftstellern der Beat-Generation an den Tag legten, Allen Ginsberg oder Jack Kerouac beispielsweise, die ihrerseits Kontakt zur Rock-Szene hatten. Und während in Deutschland zu dieser Zeit eher literarischer Positivismus im Vordergrund stand, versuchten sich Fauser und Konsorten einen Bezug zum „wahren Leben“ zu erhalten. Ich mochte das. Alles andere wäre mir nämlich gegen den Strich gegangen.

Über Propaganda-Radio …
Es ist doch so: Die Rundfunkanstalten legen zumeist nur Wert auf motivierende Musik. Die soll dafür sorgen, dass der Abwasch locker von der Hand geht und die Hörer auch die Werbeeinblendungen noch mit geneigtem Ohr zur Kenntnis nehmen. Alles, was dem zuwider klingt, wird gar nicht oder nur selten gespielt. Das ist doch verlogen. Will man den „Konsumenten“ ernst nehmen, muss man sich unter anderem mit seinen Problemen befassen. Tut man das nicht, macht man zwangsläufig „Propaganda-Radio“.

… echte Gefühlswelten …
Die zeitgenössische, amerikanische Musik-Kultur war und ist da viel aufgeschlossener. Blues durfte schon immer wütend, frustriert und traurig sein. Erweiterte Gefühlswelten flogen bei uns erst mit der „Neuen Deutschen Welle“ aus dem Äther, neben 99 Luftballons auch der Goldene Reiter und Ähnliches.

… und den Ausverkauf der „Deutschen Welle“
Leider wurde die neue Kunst-Richtung komplett aufgekauft – im wahrsten Sinne des Wortes. Alles, was auch nur im Ansatz nach „Deutscher Welle“ roch, nahm damals irgendwer unter Vertrag. Damit wurde das junge Pflänzchen furchtbar überdüngt – und ist dann eingegangen. Schade. Denn obwohl ich mich der Strömung nie zugehörig fühlte, fand ich viele Ideen und Ansätze sehr erfrischend.

Es geht voran
Nach diesem kleinen Exkurs in die Tiefen der Musik-Branche, bleibt noch zu sagen, dass "Ungeschminkt" insgesamt gut aufgenommen wurde und für mich einen vielversprechenden Aufbruch zu neuen Ufern darstellte. Mich bei dieser Platte auf ein Lieblings-Stück festzulegen, fällt denn auch schwer. Ich mag gar nicht entscheiden zwischen Riverside Drive, Hart am Ball und Am besten, Du gehst.

Die Titel

Baby, lass mich rein -  Liebes, du bist so schön -  Bessie kommt -  Riverside Drive -  Coconussöl Reggae -  Blues aus Bayern -  Schlechtes Mädchen -  Darling Ultra -  Am Besten, du gehst -  Den Kopf voll Suff und Kino -  Sie ließ alles stehn und ging -  Hart am Ball Bonus: Am besten, Du gehst (Live)