Interview

Interview der Zeitschrift „KEYBOARDS“ mit Achim Reichel

(Erschienen in Ausgabe 9/98)

A.R & Machines: Echos aus Zeiten der grünen Reise

KEYBOARDS: Was hat dich veranlasst, die „A.R. & Machines“-Platten aus den frühen Siebzigern rund 25 Jahre später zu einem neuen Album zu verarbeiten?

ACHIM REICHEL: Es hat so angefangen, dass ich von verschiedenen Seiten – auch von meiner Tochter und sogar von meinem Friseur – auf diese Platten angesprochen wurde, obwohl sie mir selber schon wie aus einem anderen Leben vorkamen. Ich hatte sie abgehakt, weil es damals für mich von der Akzeptanz her eine etwas unerfreuliche Sache war. Darum habe ich zu Anfang auch gedacht, die wollen jetzt nur nett zu mir sein. Aber es kamen dann immer mehr Leute, die danach fragten, bis man mir irgendwann erzählte, dass A.R.-Platten heute auf Techno-, Trance- und Goa-Parties laufen. Ich war ziemlich erstaunt, zumal ich ja in dieser Szene, das gebe ich gerne zu, nicht zu Hause bin. Ich meine, ich höre zwar hin und wieder mal rein, weil man es ja gerne hört, was die Kids so machen. Aber es war schon erstaunlich, wenn man aus deren Mündern zu hören bekommt: „Grüne Reise und überhaupt die Scheiben, die du damals gemacht hast – die sind ja der Wahnsinn!“ Ich dachte, das ist wie ein kleines Wunder, da holt einen die Vergangenheit ein, ohne irgendwelche dicken Industrie-Aktionen. Ich meine, die Platten waren ja viel zu speziell, um das Thema von der Industrie aus neu zu starten. Aber inzwischen gibt es halt viel verwandtes Zeug, und wie man mir aus der Szene sagte, verstehen die Kids das als „Gründerzeit-Musik“. Das fand ich natürlich schmeichelhaft. (lacht)

KEYBOARDS: Du hast auf der neuen CD die sechs „Machines“-Alben völlig neu verschraubt, von „Die grüne Reise“ bis zur „Erholung“. Konntest du auf die originalen Master-Bänder zurückgreifen?

REICHEL: Ja, die habe ich alle noch.

KEYBOARDS: Hast du sie technisch überarbeitet?

REICHEL: Ich habe erst mal versucht, aus den sechs Alben eines zu machen. Da habe ich dann sehr schnell festgestellt, wenn ich von jedem Album nur einen oder zwei Titel genommen hätte, wäre das zwar auch gegangen, aber so, wie es jetzt ist, sagt es einfach mehr aus.

KEYBOARDS: Es ist nicht die übliche Compilation geworden.

REICHEL: Nein, es sollte ein bisschen mehr werden. Ich habe ja die Titel nicht einfach aneinandergehängt, sondern in einen neuen Ablauf gebracht. Dann habe ich sie entknistert und entrauscht, um den akustischen Schmutz zu entfernen, der damals nicht zu vermeiden war. Dafür wurde das Sonic-Solution-System verwendet.

KEYBOARDS: Hast du vor, das mit den sechs Originalalben auch noch einmal zu machen und sie komplett neu herauszubringen?

REICHEL: Dazu müsste jetzt diese CD erst mal abgehen! Ich meine, ich finde das zwar alles ganz aufregend und freue mich sehr darüber, dass da ohne mein Zutun eine Nachfrage entstanden ist, aber ich denke, diese Musik ist vielleicht doch zu speziell. Vor allem war sie auf einem Sektor innovativ, den man mir nicht so gern zugesteht.

KEYBOARDS: Hättest du heute ein Problem damit, wenn man dich mit einer für dich vielleicht „falschen“ Szene identifizieren würde?

REICHEL: Nein, ich habe höchstens die Probleme, die ich schon seit Jahren kenne, weil sie auch für andere Aspekte meines musikalischen Schaffens zutreffen. Als ich damals mit den Rattles aufhörte und Wonderland machte (1968), haben ja einige Leute auch schon gesagt: „Warum machst du denn jetzt so etwas? Das andere lief doch so toll!“

KEYBOARDS: Das ist dir dann wieder passiert, als du mit Wonderland Schluss gemacht und mit diesen Elektronik-Experimenten angefangen hast. Du galtest ja damals schon als ein Urgestein der deutschen Beat- und Popszene. Wie kommt so jemand auf die Idee, plötzlich experimentelle Musik zu machen?

REICHEL: Weil er einfach Musiker ist! Weil er das Musikmachen interessanter findet als den reinen Geldverdienaspekt.

KEYBOARDS: Die „Machines“-Musik stand aber dem, was damals in Berlin zum Beispiel Ash Ra Tempel gemacht haben, deutlich näher als deiner „Starclub“-Vergangenheit. Was war für dich der Trigger, um mit Elektronik zu arbeiten?

REICHEL: (lacht) Na ja, ich bin manchmal – und Gott sei Dank! – ein sturer Mensch, der einfach dem Gefühl folgt, das er im Bauch hat. Um es auf ein einfaches Beispiel zu bringen: Wenn ich in Amerika geboren wäre, hätte ich mir aussuchen können, ob ich Country-Musik mache oder Rock 'n' Roll oder Rhythm 'n' Blues oder Soul – whatever! Das heißt, die Amerikaner und auch die Engländer hatten in ihrer Gegenwartsmusik Stilistiken, die wir nicht hatten. Also was macht ein Musiker in Deutschland, wenn er es ernst meint? Er kann gar nicht anders als eine Neubestimmung vorzunehmen. Eine deutsche Gegenwartsmusik musste erst erfunden werden. Und auch ohne dass ich mir dessen wohl so ganz bewusst war damals, ist es auch so gelaufen. Ich habe gesagt, Okay, Rock 'n' Roll ist zwar mittlerweile eine globusumspannende Sache, aber es ist nichts von hier, und was soll ich als einer dieser verrückten Deutschen mit den weißen Kitteln, die alles mögliche erfinden, ewig eine Musik aus Amerika oder England machen? Ich meine, nachdem man ja jahrelang über den großen Teich geguckt und die Musik von drüben nachgespielt hatte, kam man sich ein bisschen komisch vor. Man tat ja so, als ob man auch von dort käme, von jenseits des Teiches, und wusste natürlich sehr genau, dass dieses Den-Vorbildern-Nacheifern im Grunde Kinderdenken war. Wenn man aus diesem Alter rauszuwachsen beginnt, muss man sich dem Anspruch, was Eigenes zu machen, auch irgendwie stellen. Das habe ich gemacht, wie später ja auch mit den Shanties. Das heißt, ich war auf der Suche nach einer Identität, ich wollte das, was ich als sehr junger Mensch sehr gern mochte und was mich sicher auch geprägt hat, nämlich das Rock 'n' Roll-Gefühl mit anderen Dingen von hier oder sonst wo verquicken. Ich habe damals zum Beispiel auch sehr viel indische Raga-Musik gehört oder Symphonische Dichtungen, auf alle Fälle weitflächigere, freiere Auslegungen. Denn, wenn man es genau nimmt, ist Rock 'n' Roll ja ein sehr enger Kosmos, es sind drei Akkorde, es sind Strophe, Refrain und ein Intro. Da wollte ich raus und habe dann halt dieses „Machines“-Projekt entwickelt. Leider stellte ich dann fest, dass das begleitende Umfeld, vor allem der so genannte Fachjournalismus diesen Schritt gar nicht nachvollziehen konnte. Und einer der wenigen aus dem Kollegen-Umfeld, der „A.R. & Machines“ von Anfang an immer gutgeheißen hat, war Edgar Froese von Tangerine Dream. Er hat mich damals ermutigt, das fortzuführen. Mit Edgar habe ich damals sogar in seinem Berliner Studio Jam-Sessions gemacht, nur haben wir sie leider nicht aufgenommen. Aber sonst waren viele Reaktionen ziemlich niederschmetternd. Irgendwann dachte ich, bin ich jetzt ein größenwahnsinniger Spinner, oder sind die anderen alle 'n büschen vernagelt?

KEYBOARDS: Es gibt ja auch gute Pressekritiken. Aber waren die negativen der Grund, weshalb du 1975 mit den „Machines“ aufgehört hast?

REICHEL: Sie waren nicht der einzige Grund, aber schon einer der Hauptgründe. Ich bin ja kein Typ, der so selbstgeil ist, dass er sich selbst genügt. Irgendwann will man schon mal hören: „Das hast du gut gemacht.“ Ich dachte, Okay, wenn das nur eine Handvoll Spezialisten goutiert, ist es wohl zu elitär gedacht, machst du eben noch als krönenden Abschluss ein Live-Album, damit die Leute wissen, dass das nicht nur mit Technik im Studio möglich ist, sondern auch auf der Bühne. Und das war dann die letzte Platte. „Erholung“ (aufgenommen 1973 in der „Fabrik“). Danach habe ich mich einer anderen Entdeckung zugewendet, nämlich der, dass ein Shanty so klingen kann wie ein Rockstück.

KEYBOARDS: Wie hast du die elektronischen Stücke gemacht? Waren sie improvisiert?

REICHEL: Es fing damit an, dass ich aus irgendeinem dummen Zufall meine Bandmaschine, das Akai X-3000, so verschaltet hatte, dass plötzlich endlose Echokaskaden wiederkamen, obwohl ich die gar nicht hören wollte. Bis ich irgendwann merkte, mein Gott, das erzeugt ja einen Rhythmus und hört sich unheimlich toll an! Eine Gitarre klang wie zehn Gitarren. Das war der Dreh- und Angelpunkt bei „A.R. & Machines“, dieses Echoprinzip; kein anderer der Kollegen hat das damals gemacht. Zuerst war es aber nur eine Spielerei zu Hause, wo ich dachte, probier doch mal einfach, was passiert, wenn du die erste Stimme sich wiederholen lässt und dann noch eine zweite spielst oder eine gegenläufige Melodie. So wurde das immer mehrschichtiger und polyphoner und bekam einen fließenden Charakter. Das fand ich toll; man konnte quasi eine Session mit sich selber machen. Irgendwann habe ich's dann meiner Plattenfirma vorgespielt; damals war das die Polydor. Aber man weiß ja, wie Schallplattenfirmen sind (lacht); wenn man ein paar Mal die Zwölf getroffen hat, geben sie einem wieder 'ne Chance. Seinerzeit war aber bei der Polydor ein Mann namens Karl Faust Geschäftsführer, und der hatte, zumal er von dem Deutschen-Grammophon-Gelblabel kam, auch einen Sinn für Stockhausen, Maurizio Kagel und Steve Reich. Er hat das, was ich gemacht hatte, dieser Szenen zugeordnet, weil er gesehen hat, dass das über die Grenzen normaler Popmusik weit hinausging und eher der Form von Avantgarde-Musik war. Das war für ihn der Grund, die Platten zu machen; er hat mir gesagt, irgendwann werden die Leute das schon kapieren. Aber dass das nun 25 Jahre dauern würde … (lacht)

KEYBOARDS: Warum hast du den fließenden Charakter der Stücke nicht noch deutlicher herausmodelliert, indem du die Stücke länger gemacht hast? Ein Titel wie „10 Jahre Lebenslänglich“ hätte gut 20 Minuten weiterlaufen können. Und Tangerine Dream, Ash Ra Tempel oder Klaus Schulze haben ja damals schon mit ähnlichen Zeitstrukturen gearbeitet.

REICHEL: Das hat mit der Entstehung der Stücke zu tun.

KEYBOARDS: Waren sie ursprünglich länger oder von vornherein so knapp konzipiert?

REICHEL: Die einzige Konzeption die es gab, war, dass meinen Mitwirkenden diverse Motive bekannt waren. Das waren dann meinetwegen ein Dutzend Motive als „Lose im Hut“, aber der Rhythmus, das Tempo, die Metronomzahl oder, wie man heute sagt, die Beats per Minute waren von der Echo-Wiederholungsrate vorgegeben. Das heißt alle, die Percussion oder Schlagzeug machten, mussten sich dieser Vorgabe anpassen. Was ziemlich schwierig war. Denn für jemanden, der normalerweise Rhythmusgeber für eine Combo ist, war das ungewohnt; es setzte viel Lockerheit und entspanntes Spielen voraus, um nicht einfach zu sagen: „Ich bin dein Gott, der Schlagzeuger – mir nach!“ Insofern war nicht jeder geeignet, um in dem Zusammenhang zu spielen; es gab eine Menge Schlagzeuger, die daran verzweifelt sind. Aber um auf die Frage nach der Konzeption zurückzukommen, es waren eigentlich Sessions, bei denen immer das Gespür gefragt war, wenn es in die Richtung eines Motivs ging. Was zwischen den Motiven stattfand, war aber wie im Jazz improvisiert. Die Stücke waren also nicht so, wie sie dann auf Platte kamen, vorkonzipiert.

KEYBOARDS: Du hast von den Sessions Edits gemacht?

REICHEL: Auf der jetzigen Platte („Echos aus Zeiten der grünen Reise“) ja. Damals haben wir die Sessions einfach so genommen, wie sie waren, und höchstens mal gesagt, die Einleitung lassen wir weg, da ist noch Groove-Findung angesagt. Und dann haben wir natürlich auch manchmal gemerkt, da fehlt noch eine Conga, und haben sie overgedubbt.

KEYBOARDS: Mit wie vielen Spuren habt ihr gearbeitet?

REICHEL: Am Anfang mit acht, am Ende vielleicht mit vierundzwanzig. Aber die Frage, wie gut oder umfangreich die Technik war, spielte für mich eigentlich keine große Rolle. Ich wollte einfach – das habe ich ja schon gesagt – weg von einer Musik, wo sich der Hörer fragte, ist das nun eine Ami-Band oder nicht, sind das Engländer oder nicht? Das war irgendwann zu blöd, zu billig und zu unernst. Dann schon lieber es ernst meinen und sich auf die Suche nach neuen Ufern begeben!

KEYBOARDS: Du hast die „Echos aus Zeiten der grünen Reise“ Conny Plank gewidmet, der damals mit seinem Studio ein wichtiger Katalysator für die deutsche Musikszene war. Worin bestand bei „A.R. & Machines“ sein Beitrag?

REICHEL: Also, erst mal war er einer, der für diese Art Musik einen Kopf hatte. Er sagte nicht nur, ja, ich finde das irgendwie gut, er hat sich mit seinen Ideen richtig eingebracht. Ein Satz von ihm klingt mir heute noch im Ohr: „Ob die Aborigines auf einem Bambusrohr tuten oder wir versuchen, neue Musik zu machen, da ist letztlich gar kein Unterschied.“ Das war sehr wichtig damals, dass das jemand wie der Conny sagte, denn es stand ja damals noch nicht so vielen Leuten als Möglichkeit vor Augen, dass man Elektronik als musikalischen Partner ansehen konnte.

KEYBOARDS: Hast du seither die Entwicklung der elektronischen Musik aus Deutschland, von Tangerine Dream über Klaus Schulze bis zu Kraftwerk, weiterverfolgt?

REICHEL: Ja, klar.

KEYBOARDS: Hast du dabei irgendwas gefunden, das dir besonders gefiel oder heute noch gefällt?

REICHEL: Ich fand Popol Vuh sehr interessant. Ash Ra Tempel war mir, muss ich gestehen, einen Tick zu „gestochen“, zu akademisch, zu clean …

KEYBOARDS: Zu spacey?

REICHEL: Nein, gegen Spaceigkeit habe ich gar nichts, ganz im Gegenteil. Aber ich möchte auch gar nicht von den Dingen reden, die mir weniger gefielen, sondern von denen die mir gefielen. Denn es gab ja eine Menge Zeug, das mir gefiel – Popol Vuh, Tangerine Dream, Kraftwerk. Aber ich muss sagen, ich gehöre schon zu den Leuten, die Kraftwerk in ihrer Anfangszeit interessanter fanden als später; da waren sie halt noch richtig innovativ. Aber das soll keine Bewertung von dem sein, was sie später gemacht haben. Ich meine, wer will schon gern immer auf derselben Stelle treten müssen? Ich gehöre ja auch zu denen, die das ungern tun. Man will doch immer weiter, und ich bin sehr dankbar, dass es mir erspart geblieben ist, für alle Zeit Musik machen zu müssen, die aus meinen Teenager-Tagen stammt. Ich finde auch, das muss man einem Künstler zugestehen. Es ist einfach wichtig, sich aus der Gegenwart heraus zu artikulieren und nicht zu sagen: „War das nicht 'ne tolle Zeit vor dreißig Jahren? Da war die Welt noch in Ordnung. Und jetzt spiele ich euch nochmal ein Stück von mir vor von damals, als ich das erste mal Sex hatte.“ Diese ganze Nostalgie und die Oldie-Festivals, damit kannst du mich jagen!

KEYBOARDS: Wo siehst du in der heutigen Elektronik-Szene Sachen, bei denen du sagen würdest, da passiert was Interessantes, das mich, wenn ich zwanzig wäre, heute auch wieder triggern würde?

REICHEL: Oh, da gibt's eine ganze Menge. Mouse On Mars zum Beispiel ist, wie ich finde, ein sehr interessantes Projekt. Ich finde es aber auch einfach gut, dass die Leute heute offener sind für experimentelle Sachen. Auch das Publikum musste offensichtlich erst mal eine gewisse Entwicklung durchmachen, nicht nur die Künstler. Aber dass Elektronik eine Musik ist, die nach wie vor im Radio eigentlich nicht stattfindet und außer in gewissen Clubs kein Forum hat, ist eine Schande. Ich finde es fast peinlich, dass die Engländer oder überhaupt „das Ausland“ uns Deutsche, die wir diese Musik eigentlich erfunden haben, erstmal darüber aufklären mussten, wie toll das war. Und es ist ja heute offenbar immer noch so, dass man in Deutschland erstmal auf diesen Zuspruch von außen wartet. Ich meine, das Publikum, das sich auskennt, braucht das nicht, aber wer nur Radio hört, hat wahrscheinlich einen Namen wie Mouse On Mars noch nie gehört. Insofern hat sich in dreißig Jahren nicht viel verändert in den Medien. Wir haben das ja 1963 schon gemerkt, als wir in England die Rattles-Tournee machten. Da herrscht doch bis heute nicht nur unter Musikerkollegen ein viel wohlwollenderes und offeneres Verhältnis; auch die Medien sind ganz anders drauf. Hier dagegen belauert man und misstraut sich. Und man ist schnell bei der Hand mit: „Ach, der will ja nur Knete machen!“ Der Zweite ist dann ein Scharlatan, und der dritte hat sowieso keine Ahnung. Am liebsten: Daumen nach unten!

KEYBOARDS: Das, was dem deutschen Volkscharakter gern nachgesagt wird: eine Neigung zu Neid und Missgunst gegenüber dem, der was Neues probiert und damit auch noch Erfolg hat.

REICHEL: Ja, aber das sind alles Defizite, die was mit unserer Vergangenheit zu tun haben. Ich meine du kannst ja einen Deutschen nicht schlimmer beleidigen, als ihm zu sagen, er sei ein guter Deutscher. Und der schlimmste Deutsche ist für Deutsche immer der, der mit was Neuem erfolgreich ist. In Amerika zum Beispiel ist das ganz anders; da freut sich der so genannte Kleine Mann, der für sich selbst so einen Erfolg nie geschafft hat, immer mit, wenn ein alter Schulkamerad es geschafft hat. Aber hier spürt man doch oft diese Freude am Runtermachen. Ich finde das furchtbar. Aber ich mache meinen Kram nun schon zu lange, um mich davon noch beeinflussen zu lassen. Ich weiß mittlerweile selbst: Je mehr Leute man fragt, um so mehr Meinungen hört man, und desto weniger weiß man am Ende, was man eigentlich selber gedacht hat. Und das ist natürlich für jemanden, der sich als kreativen Musiker versteht, eine tödliche Mischung. Die Intuition, das Bauchgefühl, das will man ja nicht verlieren, sonst wird man zum Technokraten. Für mich war in der Musik immer das Gefühl entscheidend; ich hatte auch damals schon mit den „Machines“ keine Lust, jemandem die Platten erstmal für eine halbe Stunde zu erklären. Ich finde, Musik spricht für sich selbst, und Musik, die man erst erklären muss, interessiert mich nicht.

KEYBOARDS: Könntest du dir vorstellen, auf die „Machines“-Sachen noch einmal zurückzugreifen und sie vielleicht auch live zu spielen, oder ist das für dich ein abgeschlossenes Kapitel?

REICHEL: Die Frage kann ich nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Ich bin ja keiner, der sein Leben plant bis zum letzten Licht im Tunnel. Erst müsste ich wohl ein paar Rückmeldungen von der Verkaufsfront bekommen. Denn ich stelle mich nur ungern als einsamer Spinner dar, wo die Leute sagen, er hat nicht mehr alle. (lacht) Aber abwarten, mal gucken! Sag niemals nie!