Entstehung der DVD 2009
Achim Reichels „Grüne Reise“ mit viel Ton von der Uni Lippe/Höxter ins Bild gerückt
Medienproduzenten mit Mammut-Projekt
Mächtig dröhnt es monoton, doch dann stiehlt der Ton leise sich davon. Zwei große Boxen, nicht riesig, bringen schräge Melodien und Ton-Tupfer rüber: dunkel ist es und an den Seiten tiefgrün. 150 Studenten lauschen und staunen und klatschen begeistert zum Schluss.
Wir sind im Großen Hörsaal der Fachhochschule in Lemgo. Kinozeit könnte man annehmen, weil großformatig sich auf der Leinwand Unruhiges tut: ein junger Mann mit Namen Mike stolpert ungelenk – so hat’s den Anschein – durchs bewegte Bild. Grüne Alleen säumen seinen Irrgang und seine -fahrt, bunte Farbkleckse springen unruhig umher, er liegt rauchend im Bett, von einer Fee hofiert, sinnierend, zögernd, (alp-)träumend allein, hastend im U-Bahn-Schacht. Mit geöffnetem Mund. Und alles scheint tief-grün-bedrückend um ihn herum.
Eine große, eine düstere und doch mitreißende Produktion ist es. Eine Seminararbeit größten Umfangs, die angehende Medienproduzenten an der FH realisiert haben. Vom ersten Gedanken bis zum letzten Schnitt: 60 Studierende waren beteiligt, zwei Semester lang, „mit wachsender Begeisterung“, so ihr Professor Heizo Schulze, der alles angestiftet hat. Sein Arbeitsauftrag hieß: Die Interpretation zu ACHIM REICHELs ‚Die grüne Reise‘, eine Videoproduktion.
Achim Reichel? Richtig, der Mann aus Hamburg, der mal mit seinen Rattles als Vorgruppe die Stones und die Beatles begleitete, der später und zwischenzeitlich zur Hanseatischen Volksmusik konvertierte, dann wieder rockte und zwischendurch, Anfang der 70er, mit seiner grünen Reise ein wenig mithalf, die so genannte „Psychedelische Musik“ mit salonfähig zu machen, wie Kraftwerk oder Tangerine Dream das dann auch taten. Eine Musik, die einem ans Gemüt fasst und – stundenlang genossen – den Weg zurück zur Wirklichkeit ein wenig versperrt. Trance und Meditation waren en vogue.
Dieser „Platte“ (wie man damals noch sagte), zehn Stücke oder „Tracks“ und 48 Minuten lang, sollten die Studierenden der Jetzt-Zeit visuelles Leben einhauchen. Patrick Bengsohn, einer der konzeptionell überaus engagierten Studierenden und zu Beginn der Produktion, wie alle Beteiligten, im dritten Semester: „Eine ganz schön komplexe Aufgabe, die wir zunächst gar nicht so richtig in den Griff bekommen konnten.“ In Frankfurt wurde eine Ausstellung besucht, wo ein wenig Zeitgeist „ausgehende 60er Jahre“ geschnuppert werden konnte. Dann ging es in die kleinste Detailarbeit. Schulze „Es gab alles, was bei einer ‘richtigen’ Filmproduktion auch vorhanden ist. Regie, Script, Maske, Kamera, Produktionsleitung und Ton, um nur einiges zu nennen“.
Auch die so genannte Pre-Produktion wurde komplett selbst durchgeführt, das Drehbuch von den Studenten erdacht und geschrieben. Skizzen und Modelle wurden angefertigt und Schauspieler gecastet. Im großen FH-Videostudio entstand ein kompletter Nachbau eines Hotelzimmers der 70er Jahre, inklusive Kulissenwände, Waschbecken und Bett. Entwurf: Patrick Bengsohn. Ein Auto wurde zerteilt angeliefert, um im kleinen FH-Videostudio als Requisite zu dienen.
Schulze: „Moderne, komplexe Abläufe und Arbeitsweisen der Filmbranche wurden so anschaulich und quasi hautnah vermittelt.“ Die beiden Videostudios in der FH wurden zum Schauplatz ungezählter Tageseinsätze von bis zu 18 Stunden Aufnahme. Schulze lehrt seit dem vergangenen Herbst am Fachbereich Medienproduktion. Ursprünglich kommt er aus Berlin, war freier Filmemacher und Designer. Durch seine Kontakte zu Achim Reichel und zur Filmbranche ermöglicht er seinen Studierenden die Zusammenarbeit mit Profis aus der Filmszene. Syrinx Music & Media, eine Hamburger Firma, betreute das Video-Projekt Grüne Reise von Seiten der Musikindustrie.
Reichel entschied sich ganz bewusst für Studentinnen und Studenten weil er, so Schulze, „ein besonderes Verhältnis zu diesem Werk aus seinem Experimentierstadium hat“. Daher sollte die Umsetzung von jungen, noch nicht perfekten Leuten aus der Medienbranche als Pilotprojekt erfolgen. Keine Experten also, sondern Experimentierer.
Reichel selber zog es auch an die FH nach Lemgo, wo er, Jahrgang 1944, den jungen Leuten „in einer ungewöhnlichen Vorlesung“ (Schulze) aus seinem Leben berichtete. Das hat wohl gesessen. Der Geist der 70er-Jahre-Popkultur ist jetzt – jedenfalls in Auszügen – sozusagen „filmisch zu inhalieren“. Wenn Mike sich in der Kulisse verliert, angetörnt von schrägen Riffs, dann steckt er voll in seiner grünen Zeitreise. Patrick Bengsohn, Mitte 20: „Ich hatte nicht geahnt, wie die damals so drauf waren.“ Der Blick ins Video lohnt.