Dat Shanty Alb'm – Neuanfang mit Seemannsgarn

(1976 / 2008) Tangram/Indigo CD: 911592

Das (Wieder)Erkennen
‚Dat Shanty Alb'm‘ war mein Einstieg als Solokünstler, oder auch Einzelkämpfer – wie man es nimmt. Begonnen hat alles damit, dass ich eines schönen Tages versonnen auf meiner Gitarre klampfte und plötzlich eine Melodei zu packen hatte, die ich irgendwie kannte, aber dann auch irgendwie wieder nicht.

Die Tonfolge ließ mich nicht mehr los und ich spielte sie so lange, bis ich raus hatte, was ich da zupfte: Rolling Home nämlich, einen Shanty – und zwar im Rhythm 'n' Blues-Stil gespielt.

Musik mit Multi-Kulti-Attitüde
Nach diesem Schlüsselerlebnis begann ich mich mehr für Shantys zu interessieren: Wo die herkamen? Was sie bedeuteten?

In Shantys finden sich Bruchstücke von Volksliedern aus aller Herren Länder. Die Schiffsbesatzungen klaubten sich in den verschiedenen Häfen populäre Melodien zusammen und vermengten diese miteinander. So mischten sich Sprachelemente aus England, Deutschland und Frankreich – bei uns entstand daraus das Norddeutsche Platt. Das findet sich auch auf dem Shanty-Album wieder. Für mich sind die Seefahrer-Lieder so eine Art Weltfolklore. Sie haben diese wunderbare Multi-Kulti-Attitüde.

Von Shantys und Rock n Roll
Ich sehe in Shantys eine Art Vorläufer der Rock-Musik. Die „alten“ Lieder entstanden ebenso wie später Pop-Songs aus dem Bauch heraus, wurden bei der Arbeit gesungen und mussten sich leicht merken lassen, eben eingängig sein.

Auf der Platte habe ich denn auch versucht, Aspekte der Vergangenheit mit denen der Gegenwart zu verbinden. Die Text-Inhalte der Shantys, obwohl doch so betagt, waren mir näher als vieles, was ich mit den Rattles oder Wonderland gemacht hatte. Die Bands orientierten sich an internationalen Standards, die Shantys dagegen an meinen kulturellen Wurzeln – wenn man so will. Um die aber zeitgemäß umzusetzen, bedurfte es zunächst einer neuen Form von Kreativität und Mut. Für die „normale“ Popmusik variierten wir ja nur mehr das, was alle anderen um uns herum ebenso stets aufs Neue variierten. Wirklich neu war daran natürlich mittlerweile gar nichts mehr. Ich brauchte aber etwas Frisches, wollte nicht nur „dabei sein“ wie die Tausend anderen. Da kamen mir die Shantys gerade recht.

Neuland
Allerdings hatte so etwas vorher in Deutschland noch niemand gemacht. Da gestaltete es sich als äußerst schwierig, für die LP-Veröffentlichung überhaupt eine Plattenfirma zu gewinnen. Die konnten mit diesen Inhalten überhaupt nichts anfangen. Es gab die kuriosesten Begründungen, warum man dort der Scheibe ablehnend gegenüber stand. Eine der skurrilsten erinnere ich noch. Da schrieb jemand: Wir haben schon mal Küchenlieder im Trinny Lopez-Sound veröffentlicht, die hat niemand gekauft.

Die Teldec hat es dann aber doch riskiert und war später wohl auch ganz glücklich darüber – wie wir alle. ‚Dat Shanty Alb'm‘ wurde ein beträchtlicher Erfolg. Sowohl Kritiker wie Käufer haben die LP enthusiastisch aufgenommen. Besonders gern mag ich auf der Platte Pest an Bord – eine Adaption von Wir lagen vor Madagaskar.

Was mir übrigens auf Anhieb extrem viel Spaß gemacht hat, war Plattdeutsch zu singen. Das ist für einen Sänger eine tolle Sache, weil jede Form von Dialekt eine melodiös geschliffene Sprache darstellt.

Achim Reichel 1976
Achim Reichel 1976

„De Shanty Obend“
Um die Musik live zu testen, veranstalteten wir in Hamburgs altehrwürdigem Schauspielhaus „De Shanty Obend“. Als ich dort das erste Mal von der Bühne ins Publikum guckte, traute ich meinen Augen nicht: Die Hälfte der Zuschauer bestand aus alten Seebären, die wohl an Hand des Konzert-Titels etwas völlig anderes erwartet hatten, als das, was sie dann zu hören bekamen. Denen war es vielleicht auch etwas laut, aber gegangen ist niemand – im Gegenteil. Wir hatten einen mordsmäßig tollen Abend.

Nun kann ich mit Seefahrern aber auch wirklich gut. Da muss ich mich gar nicht verstellen, denn die Schifffahrt liegt mir im Blut. Ich bin am Hafen aufgewachsen. Mein Vater und auch mein Großvater sind zur See gefahren und ich wollte das ursprünglich ja auch tun. Allerdings hat mich ja die Musik zu etwas anderem überredet.

Die Shantys holten mich zurück …
Was die wenigsten wissen: Ohne das „Shanty Alb'm“ wäre ich wahrscheinlich gar nicht mehr als Musiker in Erscheinung getreten. Zur damaligen Zeit verstand ich mich eigentlich schon als Produzent und Verleger. Noch zu Rattles-Zeiten haben wir immer gesagt: „Mit 30 musst Du Dir einen anständigen Beruf suchen.“ Die Platte habe ich nur aus purer Begeisterung für das Genre gemacht. Als Startschuss zu einer weiteren Musiker-Karriere, war die LP zunächst überhaupt nicht gedacht.

Die Titel

Rolling Home -  Es ging langsam voran -  De Düvel an Bord -  Hamborger Veermaster -  Shenandoah -  Drunken Sailor -  Das Lied von der Hochseekuh -  Pest an Bord -  Johnny Johnny - Long Time Ago BONUS: Das Sklavenschiff (Studiodemo)