DAS BESTE • Review
Nils Tuxen an Pedal Steel, Dobro, Slide Guitar und Mandoline. Perkussionist Yogi Jockusch, Bassist Achim Rafain und Gitarrist + Computer Operateur Nils Hoffmann sowie das Bläsertrio aus Matthias Claasen/Andreas Böther (Saxofon), Steve Wiseman (Trompete) und Uwe Granitza (Posaune)
Foto: Hinrich Franck
"ich hatte fast vergessen,
wie gut es sich anfühlt,
mal wieder Tourneeluft zu schnuppern.
wie gut es sich anfühlt,
mit einer Band - wie sie goldrichtiger nicht sein konnte - unterwegs zu sein
wie gut es sich anfühlt,
in 20 meist ausverkauften Bühnenhäusern gefeiert zu werden,
wie gut es sich anfühlt,
sich mal wieder in seinem Element tummeln zu können,
wie gut es sich anfühlt,
dabei rund um gut betreut zu sein
mögen die Zeiger auf der Lebensuhr sich dreh‘n wohin sie woll‘n
Ich danke allen, die vor oder hinter den Kulissen dabei waren,
Wir waren ein super Team
es war mir eine unsagbare Freude."
Achim Reichel - eine Kreuzfahrt durch fünf Jahrzehnte
Einer der größten deutschen Rockmusiker, begeistert seine Fans im ausverkauften Admiralspalast.
Seit bald 60 Jahren steht er im Rampenlicht. Achim Reichel war seiner Zeit immer mindestens um eine Nasenlänge voraus. 1960 gründete er mit den Rattles Deutschlands Beat-Band Nummer 1. Er versuchte sich mit Wonderland erfolgreich an psychedelischen Pop-Sounds. Er erforschte mit AR Machines Anfang der Siebziger noch vor Tangerine Dream oder Kraftwerk auf gleich mehreren Platten die elektronische Musik. Und fand Mitte der Siebziger zu seinem ureigenen Stil. Er machte sich deutsche Volkslieder, Shantys und klassische Balladen zu eigen. Und holte sie im rockigen Gewand in die Gegenwart.
Im Januar ist Achim Reichel 75 Jahre alt geworden. Und steht immer noch wie ein Seemann in der Brandung auf dem sturmumtosten Deck. „Das Beste zum Schluss“ heißt sein neues Tournee- Programm, mit dem der Hamburger Musiker am Sonnabend im ausverkauften Admiralspalast gastierte. Und er hat seine über die Jahre mitgereiften Fans von Anfang an voll auf seiner Seite. „Wieder mal die Straße runter, Koffer auf’m Rücksitz und vollgetankt“, stößt er kantig und rau ins Mikrofon. Sein Song „Fliegende Pferde“ von 1989 steht am Anfang einer Kreuzfahrt durch fünf Jahrzehnte Achim Reichel.
Nein, von den Rattles gibt es nichts an diesem Abend. Aber er spannt den Bogen weit. Vom 1977 erschienenen Album „Klabautermann“ bis zu „Raureif“ von 2015. Durch Shantys und klassische Balladen hat er zu deutschen Liedern gefunden. Schriftsteller wie Jörg Fauser oder Kiev Stingl, die Texte für ihn schrieben, wurden zu seinen Lehrmeistern, die ihm schließlich den Weg zu eigenen Texten ebneten. Achim Reichel ist ein Rock-’n’-Roller, der stets dickköpfig genug war, seinen eigenen Weg zu suchen. Und wie dieser Abend auf wunderbare Weise beweist: meist zu Recht.
Von Jörg Fauser singt er „Der Spieler“ und „Boxer Kutte“, von Kiev Stingl gibt es nach der Pause „Steaks und Bier und Zigaretten“. Christian Morgensterns „Sophie mein Henkersmädel“ kommt als schleppender Boogie daher. Theodor Fontanes Klassiker „John Maynard“ wird zum von Pedal Steel Guitar umspielten Countrysong. Und Ina Seidels strophensatte „Regenballade“ spricht und singt er mit beschwörendem Ton. In bestem Sound und ohne jeglichen Showfirlefanz lassen Reichel und seine Band allein die klug arrangierte Musik zwischen Blues, Folk und Rock und die ausgefeilten Texte sprechen.
Eine erstklassige und stilversierte Musikermannschaft stärkt ihm den Rücken. Allen voran Multiinstrumentalist Nils Tuxen an Pedal Steel, Dobro, Slide Guitar und Mandoline. Perkussionist Yogi Jockusch, Bassist Achim Rafain und Gitarrist Nils Hoffmann sorgen für rhythmischen Seegang, über den selbst Volkslieder wie „Der Mond ist aufgegangen“ oder „Sah ein Knab ein Röslein stehn“ rockig navigieren können. Das Bläsertrio Andreas Boether (Saxofon), Steve Wiseman (Trompete) und Uwe Granitza (Posaune) komplettiert die eingespielte Crew, die auch immer wieder mit solistischen Einlagen zu glänzen versteht.
Reichel ist in dieser Runde der fabulierende Kapitän, der immer neue Geschichten zu erzählen weiß, ob nun wie in „Wahre Liebe“ eine Beziehung Schiffbruch erleidet oder „Nils Randers“ in der Otto-Ernst-Ballade einem schiffbrüchigen Matrosen zu Hilfe eilt.
Die Musiker sitzen dabei wie in einem Unplugged-Konzert beisammen, doch wenn es mal ordentlich zur Sache geht, steht Reichel dann doch mit umgehängter E-Gitarre am Mikro. Das mit dem Alter scheint er einfach zu ignorieren. „Schön, dass ihr bei meiner ersten Abschiedstournee dabei wart“, meint er denn auch grinsend zum Schluss, nachdem das unvermeidliche „Aloha Heja He“ den ganzen Saal zum Mitsingen gebracht hat.
Und setzt im Zugaben-Teil mit den relativ neuen, dann doch etwas altersweisen Songs „Leben leben“ und „Halt die Welt an“ den Schlusspunkt unter ein außergewöhnliches Konzert. Ein Konzert mit einem der größten deutschen Rockmusiker. Einem, der sich nie um Trends geschert hat. Der sich immer treu war. Und eben deshalb so bodenständig und wahrhaftig geblieben ist. Der dankbare Applaus hallt noch lange nach.