AR & MACHINES: DIE GRÜNE REISE

(1970 / 2007) Tangram / Indigo CD/DVD: 903022

Dieses Album verkörpert meinen ersten Versuch, eine Musik zu erschaffen, die ohne musikalischen Vorbilder auskommt. Ich kann nur sagen: Vorsicht, starker Tobak – nicht jedermanns Sache. Ungewöhnlich, experimentell, psychedelisch, radikal.

Na ja, ich war damals 26 Jahre alt, mit Haaren bis auf die Schultern und dem Hippietum zugetan. Während andere Zeitgenossen sich politisch revolutionär betätigten, war mir nach kultureller Umorientierung zumute.

Leider musste ich damals feststellen, dass man für Derartiges hier zu Lande noch nicht bereit war. Aus Enttäuschung darüber versuchte ich alles mir mögliche, um diese Musik für immer in meinem Archiv verschwinden lassen zu können. Letztlich war es schwieriger die Rechte an diesem Album von der Industrie zurück zu erwerben als es aufzunehmen. Die Tatsache aber, dass ‚Die grüne Reise‘ später internationale Anerkennung fand, ließ mich die Dinge anders sehen. Heute habe ich einen anderen Abstand zu der ganzen Sache und darum möchte ich allen Interessierten diese „Jugendsünde“, 36 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung, nicht länger vorenthalten. Meisterlich von dem allseits geschätzten Kollegen EROC digitalisiert und remastered, gehört auch eine DVD dazu, die von Studenten aus dem Fachbereich Medien der Universität Lippe/Höxter erstellt wurde. Dass diese sich heute in einem Lebensalter befinden, vergleichbar mit dem meinen in den frühen siebziger Jahren, hat die filmische Umsetzung zu einer erfreulichen Besonderheit werden lassen.

Na denn, gute Reise
Euer Achim Reichel

ACHIM REICHEL: Die grüne Reise

Zunächst das Faktische:

ACHIM REICHEL (im Folgenden A.R. genannt) hat keine neue Platte veröffentlicht. A.R. hat eine alte Platte neu veröffentlicht. ‚Die grüne Reise‘ wurde 1970 aufgenommen und im September 1971 bei Polydor veröffentlicht. Eine Partei namens „Die Grünen“ wurde erst am 13. Januar 1980 in Karlsruhe gegründet. Zusammen mit deren einstigen Galionsfigur Joschka Fischer zeigte sich A.R. später in dem Kinothriller Va Banque des deutschen Actionfilm-Regisseurs Diethard Küster von seiner eher seltenen schauspielerischen Seite.

Die Farbe Grün ist die Farbe des Lebens, der Pflanzen und des Frühlings. Sie ist die Farbe der jährlichen Erneuerung und des Wachstums. Im Mittelalter stand Grün für eine beginnende Liebe.

Die Band Kraftwerk, oft und gerne im Zusammenhang mit A.R. & Machines zitiert, wurde 1968 in Düsseldorf formiert und veröffentlichte Ende 1970 ihr erstes gleichnamiges Album.

Da ‚Die grüne Reise‘ aber 30 Jahre lang ein Dasein als „nicht lieferbar“ fristen musste, geisterte das epochale Werk nur noch im Internet herum, und es entwickelte sich dank stetig wachsender Nachfrage ein schwunghafter Handel mit Raubkopien.

Doch jetzt gibt es ‚Die grüne Reise‘, die damals fünf Jahre auf dem Markt war und sich schlappe 3000 Mal verkaufte, endlich wieder, digital überarbeitet, im opulenten Digipac verpackt und obendrein noch mit einer 48 minütigen tief-grünen optischen Umsetzung (DVD) versehen.

„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen“, sagt der Volksmund – und weil hier eine Reise nach 36 Jahren auf einen spektakulären Neubeginn geht, haben wir unlängst beisammen gesessen und über ‚Die grüne Reise‘ geredet, ein für damalige Zeiten wahrhaft visionäres Album, aber „eines, wofür 1971 nur wenige die richtigen Antennen hatten.“ (A.R.). Was tut ein Musiker der mit seiner Rolle als Beat-schrubbender Teenie-Liebling ganz und gar nicht mehr glücklich ist? In unserem Fall suchte er nach „Klängen hinter dem 4/4-Takt“. Im Alleingang entwickelten sich zunächst nur vage Ideen. Und irgendwann kam dabei das Schicksal ins Spiel – Kismet eben. In diesem Fall in Form einer Tonbandmaschine.

A.R.: „Eigentlich wollte ich nur etwas mit der Gitarre aufnehmen, als plötzlich, aus einem mir nicht ersichtlichem Grund, die Maschine (eine Akai X-3300) endlose Echokaskaden erzeugte. Meine Gitarre klang dank der Überlagerungen auf einmal wie zehn. Diese Echos inspirierten mich zu ungeahnten musikalischen Ausdrucksformen, und die dabei entstandene psychedelische Anmutung gefiel mir ebenfalls. Da hab ich mir gedacht: Das isses.“

Das war der Anfang von A.R. & Machines und der Grünen Reise. Natürlich stieß das Resultat damals zunächst auf viel Unverständnis, denn wie konnte so ein Beat-Mucker plötzlich „progressive Musik“ machen? In der Zeitschrift Sounds gab es einen bösartigen Verriss, in dem gar von „einem billigen Machwerk“ und von Musik „für Bravo-Teenies“ die Rede war. Doch zwei Monate später krochen dann die Macher dieses Blatts mit einer Wiedergutmachung zu Kreuze. Aber auch einige andere selbsternannte „Undergound-Päpste“ meldeten sich zu Wort und redeten von „Plagiat“ und „Gedankenarmut“. Andererseits hat ‚Die grüne Reise‘ Musikjournalisten von San Franzisko „total krautrock essentials“ bis hin zu Bilek Güler (Türkei) „wonderful music from Germany“ (seit Jahren) zu wahren Jubelorgien hingerissen. In Deutschland bemerkte die FAZ „Gruppen wie Tangerine Dream und Kraftwerk perfektionierten später, woran sich Reichel wieder einmal als einer der ersten versucht hat“.

A.R.: „Es war eigentlich das erste Mal, dass ich mir uneingeschränkte künstlerische Freiheit gestattete. Ich wollte aus einem mir zu eng gewordenen musikalischen Korsett ausbrechen.“ Einfach im altbewährten Schema weiter geradeaus zu fahren, war für A.R. unbefriedigend geworden. Es schien als hätte er zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Ausfahrt die richtige Kurve genommen.

Was als Neubeginn gedacht war, endete schon 5 Jahre nach Veröffentlichung mit der Streichung aus den Lieferlisten und nun begann für ‚Die grüne Reise‘, wie A.R. heute sagt: „Ein zweites Leben, von dem ich nichts wusste“, das Werk fristete fortan viele Jahre eine Existenz als Underground-Kleinod. Wovon A.R. ebenfalls nichts wusste. Bis irgendwann mal seine aufgeweckte Tochter nach Hause kam und von ihren Mitschülern berichtete, die von einer Platte namens‚Die Grüne Reise‘ begeistert seien. Die Scheibe sei jetzt echt Kult. Die würde man auf allen angesagten Partys hören. Und als dann seine Ehefrau meinte, er solle doch einfach mal im Internet den Suchbegriff A.R. & Machines eingeben, da gingen ihm die Augen über. „Da standen Sachen über mich drin, bei denen ich dachte: He, die scheinen mehr über dich zu wissen als du selbst.“

Wie sich dieses spontane Musikprojekt, das aus einer überschwänglichen Laune heraus innerhalb von nur zwei Tagen aufs Band gebannt wurde, zu einer Lawine entwickeln konnte, die über London nach Sidney und von Los Angeles bis nach Tokio rollte, war für mich absolut rätselhaft. Mal abgesehen von den unzähligen Krautrock-, Trance- oder Goa-Fans meinte etwa Julian Cope, einst Kopf der Gruppe The Teardrop Explodes und Autor des kenntnisreichen Buchs Krautrocksampler (1995), ‚Die grüne Reise‘ sei „das Endresultat eines höheren Bewusstseins“, und sein Kollege Brian Eno (Ex-Roxy Music) verriet, dass ‚Die grüne Reise‘ Inspirationsquelle zu seinem Album Another Green World (1974) gewesen sei. Und die Leute des hippen Plattenladens Aquarius Records aus San Franzisko gerieten mit folgenden Zeilen gar vollends aus dem Häuschen: „Was ist es, das uns angesichts dieser lange überfälligen A.R. & Machines-Reissues wieder und wieder in Liebe zu dem guten alten Achim Reichel entflammen lässt? Ganz einfach: Es ist mit der beste Krautrock, der je gemacht wurde.“

Da ‚Die grüne Reise‘ mal als „Soundtrack für einen imaginären Film“ dienen sollte, lag nichts näher, als dieses musikalische Kleinod endlich in entsprechende Bilder umzusetzen. Was dann gut 60 Studenten der Fachhochschule Lippe und Höxter – University of Applied Sciences Anfang des Jahres schließlich taten. Als Seminararbeit setzten sie die zehn Titel des Albums im Laufe von zwei Semestern filmisch um. Zwar stapelte im „making of“ der DVD einer der an der Visualisierung beteiligten Studenten zunächst ziemlich tief: „Eine ganz schön komplexe Aufgabe, die wir zunächst gar nicht so richtig in den Griff bekommen konnten.“ Doch schlussendlich gelang es den Studiosi, ‚Die grüne Reise‘ sozusagen „filmisch zu inhalieren“. Das Resultat – die Bahn brechende LP von anno '71 und die visuelle Umsetzung der ‚grünen Reise‘ – ist seit November 2007 auf CD und DVD für jeden akustisch und optisch nachvollziehbar. Inzwischen stehen ja Publikum wie Medien – obwohl diese Musik selten bis gar nicht im Radio gespielt wird – elektronischen Klängen weitaus aufgeschlossener gegenüber.

A.R. selbst gibt sich trotz all des Wirbels von einst und heute eher bescheiden. „Da hat mir das Schicksal etwas in die Hände gespielt, womit ich pfleglich umgehen möchte“, sagt er. „Das es eine Art von Erfolg gibt, der sich auch ohne den üblichen Medienrummel entwickeln kann ist für mich eine freudige Erfahrung.“ Wie wahr, denn hier hat ein Künstler einen mutigen Schritt gewagt. Er ist blauäugig auf eine Reise gegangen, die bis heute grünt und wächst, wächst und grünt …

A.R., dem am 7. Juli 2007 für sein jüngstes Album ‚Volxlieder‘ und „für herausragende Leistungen und Verdienste um deutschsprachige populäre Musik“ der Weltmusikpreis „die deutsche RUTH 2007“ verliehen wurde, hat all dies mit den Worten „Man darf sich an alten Zeiten nicht festhalten. Das Ziel besteht nicht im stehen bleiben sondern in der Weiterentwicklung“ treffend auf den Punkt gebracht.

Autor: Jörg Gülden

Die Titel

CD:

Globus In The Same Boat Schönes Babylon I’ll Be Your Singer – You’ll Be My Song Body A Books Blues Als hätt’ ich das alles schon mal gesehen Cosmic Vibration Come On People Wahrheit und Wahrscheinlichkeit

DVD:

Grüne Reise – der Film - 42 min Making of - 10 min