Interviews

Achim Reichel

Achim Reichel im FN-Interview

„Ich mag über meine Musik gemocht werden“

Der Urvater der deutschen Rockmusik präsentiert seine neue CD „Wilder Wassermann“
Die Mythologie als inspirierendes Thema.

Für viele ist der Mann Kult. Fällt sein Name, bekommt so manch einer leuchtende Augen und holt die Luftgitarre hervor. Achim Reichel und die „Rattles“: Das waren noch Zeiten! Mittlerweile ist der „Urvater der deutschen Rockmusik“ 58 – ein Alter, in dem andere schon mal gerne mit dem Vorruhestand liebäugeln. Reichel ist aus anderem Holz geschnitzt. Am Montag kam seine CD „Wilder Wassermann“ heraus. Ganz neu, ganz anders, und doch unverkennbar sein Werk. Die Fränkischen Nachrichten unterhielten sich mit dem Musiker, Produzenten und Verleger über sein Album, aber auch über Klassenfahrten, englische Mädchen und einen kleinen Jungen aus St. Pauli, der so gerne den großen Schiffen nachschaut.

Fränkische Nachrichten: Herr Reichel, am Montag kam Ihre neue CD auf den Markt. Was sagt Ihnen Ihr Gefühl?

Achim Reichel: Es rät mir zum Optimismus. Ich glaube, es ist die richtige Platte zur richtigen Zeit. Und weil ich schon immer gerne mythologische Themen verarbeitet habe, wie zum Beispiel auch im „Klabautermann“ oder in der „Regenballade“, kann man auch nicht behaupten, ich würde auf einer Modewelle schwimmen.

FN: Außerdem ließ sich Achim Reichel sowieso noch nie in eine Schublade stecken.

Reichel: Gott sei Dank! In einer Zeit, in der Unterhaltungsware nur den Auftrag hat, Quoten und Kasse zu machen, ist Mythologie ein sehr inspirierendes Thema für mich. Da steckt noch richtig die Volksseele drin.

FN: Das heißt, die Idee zum „wilden Wassermann“ kam nicht über Nacht.

Reichel: An dieser Platte habe ich zwei Jahre gearbeitet. Wenn man sich in meinem Alter aus der Gegenwart heraus artikulieren will, ist das ziemlich schwierig. Im Radio bekommt man nur Kindermusik serviert. Oder Oldies. Ich wollte erst gar nicht versuchen, gängige Popmusik zu schneidern, sondern einfach das machen, was ich immer gemacht habe. Dann bin ich am echtesten und muß mich auch nicht verstellen.

FN: Mussten Sie das jemals?

Reichel: Zu Beginn der Karriere machte ich mir über solche Dinge keinen Kopf. Das kam erst sehr später, als ich merkte, das die Medien mich jetzt für alle Zeit als „Rattle“ sehen wollten. Doch wenn man sich entwickeln will, muß man auch Spielernatur sein und darf das Risiko nicht scheuen. Entwicklung heißt auch Veränderung. Das ist jedoch schwer in einer Gesellschaft, die auf Marktgesetzen beruht.

FN: Sie gingen damit auch den unbequemeren Weg – damit Sie sich morgens noch im Spiegel anschauen konnten?

Reichel: Das ist genau der Punkt. 1988 habe ich mich zu einer „Rattles“-Reunion breitschlagen lassen. Wir landeten auf Oldiefestivals. Da wurde ich ganz melancholisch. Man kann als erwachsener Mann doch nicht mehr von seinem allerersten Herzschmerz singen! Das glaubt einem doch keiner mehr.

FN: Es gibt aber einige Ihrer Kollegen, die genau das machen. Was treibt die an? Geld?

Reichel: So ist es. Und das finde ich ein bisschen traurig. Ich bin mir selbst und den hilfreichen Geistern um mich herum sehr dankbar, dass es mir auch mit meinem Zickzackkursen gelang, ganz passabel überleben zu können.

FN: Die CD scheint in einem ziemlich entspannten Rahmen enstanden zu sein.

Reichel: Das stimmt. Ich habe ein Studio im Haus – das war immer mein Traum. Da hat man nicht diesen Zeitdruck. Und wenn man mitten in der Nacht aufwacht und glaubt, eine tolle Idee zu haben, macht man halt den Schalter an und nimmt auf.

FN: Ist das Album auch ein Ausdruck jener Freiheit, die Sie sich erarbeitet haben?

Reichel: Man ist ja ein Teil der Musikindustrie. Und da denkt man sehr unternehmerbezogen. Ich konnte die Herrschaften dort jedoch daran erinnern, das schon die „Regenballade“ sehr erfolgreich war – auch ohne Hitsingle. Es herrscht leider immer noch große Verunsicherung im Lande: Was der Vergangenheit entstammt, könnte ja noch braun angehaucht sein – vor allem die germanische Mythologie. Dabei sind die Inhalte Jahrtausende alt. Die Nazis haben sie sich nur angeeignet und für ihren Zweck missbraucht. Man muss denen das wegnehmen, darf ihnen das nicht überlassen.

FN: Die Deutschen haben wohl noch immer noch ein Problem mit ihrer Kultur und Sprache.

Reichel: Die Pisa-Studie traf mich wie der Blitz. Da schlägt man ja die Hände über dem Kopf zusammen! Daran haben aber auch die Rundfunkanstalten schuld, die einen nur mit englischsprachigem Kram vollnölen. Wenn man in unserer Sprache singt, hat man es viel schwerer als jemand aus Amerika oder England. Und das ist nicht normal. Wenn eine Platte mit dem Prädikat „Top Ten in England“ angeliefert wird, ist das für den deutschen Rundfunk Grund genug, sie zu spielen. Bei einem deutschen Künstler muss das Lied erst ein Hit sein, damit es im Radio stattfindet. Aber wie soll es einer werden, wenn es die Sender nicht bringen? Das ist manchmal zum Heulen.

FN: Sie haben sich musikalisch ständig weiterentwickelt. War das eine Suche nach neuen Herausforderungen oder mögen Sie einfach keine ausgetretenen Pfaden?

Reichel: Das ging los, als ich zur Bundeswehr kam und damit die „Rattles“ verlassen musste. Danach kam „Wonderland“ mit dem Hit „Moscow“. Irgendwann merkte ich aber: Ich tu ja nur so als ob. Ich eifere ja nur Vorbildern nach. Und so machte ich eine Pause und produzierte Gruppen wie Ougenweide und Novalis. Dann kam das Shanty-Alb'm, eine Art Weltfolklore. Meine Schublade wurde neu beschriftet: Achim Reichel, der rockende Hans Albers. Danach wandte ich mich erstmals alten Balladen zu. Dafür habe ich einfach ein Faible. Diese Sprachqualität ist so toll!

FN: Wie waren Sie in der Schule denn im Gedichteauswendiglernen?

Reichel: Schön, dass Sie das so umschrieben haben. Genauso war es nämlich. Es gab eine gute Note, wenn man es gut aufgesagen konnte. Aber worum es eigentlich ging, das hat man uns nicht vermittelt.

FN: Waren Sie schon immer gerne der Geschichtenerzähler?

Reichel: Wenn beim Klassenausflug im Landschulheim schon längst das Licht gelöscht war, trug Achim immer noch Geschichten vor. Ich bin am Hamburger Hafen groß geworden, mein Vater und mein Großvater fuhren zur See. Schon als kleiner Junge saß ich am Fenster und beobachtete die Schiffe. So lernte ich auch die Flaggen kennen. Denn ich schaute in meinem Album immer nach, welche Flagge zu welchem Land gehört. Und mit den Schiffen reist meine Phantasie mit.

FN: Welche Bedeutung hat das Meer heute für Sie?

Reichel: Wasser hat eine ähnlich starke Wirkung auf mich wie hohe Berge. Es gibt keine schönere Ruhe als dort. Wenn man auf einer Bergwanderung nur die leisen Geräusche des Windes hört, ist das Musik in meinen Ohren.

FN: Mit welchen Gefühlen denken Sie an die alten „Rattles“-Zeiten zurück?

Reichel: Sie sind meine musikalische Kinderstube. Man war noch unbedarft, hatte Spaß an der Freude, obendrein auch noch Erfolg. Und man verdiente mit gerade mal 18 schon eine Menge Geld.

FN: Und wurde von den Mädchen angehimmelt.

Reichel: In England war das völlig irre! In den Hotels, in denen wir übernachteten, waren alle freien Zimmer von Mädchen belegt. Da war der kleine Junge von St. Pauli mit roten Ohren unterwegs.

FN: Was ist denn das schönste Kompliment, das man Ihnen machen kann?

Reichel: Wenn mir jemand sagt, das ihm meine Lieder gefallen. Denn ich mag über meine Musik gemocht werden und nicht, weil ich ein Ehedrama anzettele, das sich hinterher als Ente entpuppt. Das ist heutzutage ja gang und gäbe, aber ich finde das billig und schäbig. Ich habe kein Problem damit, eher in der zweiten Reihe zu stehen. Aber dafür kann ich in den Spiegel schauen und sagen: Junge, wir beide sind ein Bombenteam!

Sabine Küssner, Fränkische Nachrichten, 28. Februar 02, Rubrik: Feuilleton


Mythen & Musik

„Seid doch nicht so eng im Schädel“

Der Rockmusiker Achim Reichel hat Gedichte deutscher Klassiker vertont

Die Loreley, der Erlkönig, der Nöck, alles alter Kram, der einen schon im Deutsch-Unterricht langweilte? Kaum, wenn sich ihm ein Musiker wie Achim Reichel annimmt. Der 58-jährige Hamburger, der schon in den Sechzigern zusammen mit den Stones, Joe Cocker oder Eric Burdon auf Tournee ging und mit seiner Band Rattles deutsche Rockmusik-Geschichte schrieb, hat ein neues Album vorgelegt. Auf „Wilder Wassermann – Balladen und Mythen“ (WEA).

Sächsische Zeitung: Man bezeichnet Sie mitunter als „Mann mit Wurzeln“, wo liegen die denn?

Reichel: Musikalisch liegen die eindeutig in der Rockmusik, die ich mehr oder minder mit der Muttermilch aufgesogen habe. Die Rattles-Phase war das, was ich so meine musikalische Kinderstube nenne. Alles was danach kam, basiert darauf, auch meine Föderung deutsch singender Bands wie Ougenweide oder Novalis, durch die ich meine Liebe zur eigenen Sprache und zu heimatlichen Volksliedern und Shanties entdeckte.

SZ: Sie haben 1976 eine Platte mit Shanties gemacht, 1978 das Album „Regenballade“ veröffentlicht, auf dem Sie Gedichte von Fontane, von Liliencron oder etwa Goethe mit Rockmusik gekreuzt haben. Wie waren denn damals die Reaktionen auf diese doch eher ungewöhnlichen Produktionen?

Reichel: Damals war meine Interpretation dieser Klassiker noch einen Tick ungewöhnlicher als heute. Vor allem an das „Shanty Alb'm“ haben sich die Plattenfirmen zuerst nicht heran getraut. Doch das Album ist bis heute ein Dauerbrenner. Bei „Regenballade“ schlug das Pendel dann, womit ich nicht gerechnet hatte, heftiger hin und her. Die einen sagten: „Man darf doch nicht unsere alten Dichterfürsten vergewaltigen“. Das sah ich natürlich ganz anders. Wenn man bestimmte Dinge zum Bestandteil einer Volkskultur machen will, dann müssen sie meines Erachtens auch ein Bein in der Gegenwart haben. Und dann gab es natürlich Leute, die anfragten, ob ich womöglich „rechts angehaucht“ wäre. Ich kann die Frage zwar verstehen, naiv finde ich sie trotzdem. Diese Gedichte sind über 100 Jahre alt, damals war das Land durchaus noch mit einem intakten Kulturbewusstsein unterwegs. Das Rückgrat haben wir uns ja erst dadurch gebrochen, indem wir zwei Weltkriege angezettelt haben.

SZ: Stichwort Volkskultur. Haben wir Deutsche überhaupt noch eine?

Reichel: Wir sollten unser Verhältnis zu unserer Vergangenheit entkrampfen. Das ist vielleicht leichter gesagt als getan, aber trotzdem müssen wir uns vor Augen führen, das zwölf Jahre „Drittes Reich“ nicht dazu führen dürfen, das wir viele Ereignisse und Jahrhunderte alte Dinge in die Tonne treten. Im Ausland kriegt man oft gesagt, „Wow, ihr Deutschen, mit eurem großen kulturellen Erbe, mit euren Dichtern und Denkern“ – die Menschen verstehen oft gar nicht, dass wir Deutsche mit diesem Erbe nichts anzufangen wissen, viele gar nur geringe oder oberflächliche Kenntnis von ihm haben.

SZ: Sie haben mal gesagt, dass sie die Wurzeln unserer Kultur nicht den Rechten überlassen wollen.

Reichel: Mythen und Sagen sind nicht das Ergebnis von einzelnen Denkern, wie es etwa bei der Philosophie der Fall ist, sondern einer kollektiven Überlieferung in einem Volk. Und für mich haben sie ihren Ursprung in einer Art unschuldiger Sicht. Dagegen kann man nichts haben, nur eben dagegen, das die Mythen, wie etwa die Niebelungen-Sage, von politischen Kräften wie etwa den Nazis missbraucht wurden. So ist mein aktuelles Album auch ein Versuch einer zeitlosen und zugleich aber zeitgemäßen Reanimation von Volksdichtung.

SZ: Nach welchen Kriterien haben Sie sich bei der Auswahl der Gedichte für das Album leiten lassen?

Reichel: Ach, letztendlich habe ich Gedichte ausgewählt, die mich persönlich ansprechen. Und dabei ist mir ziemlich egal, ob das „heikel“ ist, oder, was da sonst an „Gedankenmüll“ abgesondert wird. Goethe, Heine, Fontane und all die anderen, das sind doch wirklich große Geister und Könner gewesen, deren Verse für mich als Musiker schon wie Musik klingen.

SZ: Vineta, Rungholt, Loreley, Babylon, das sind ja alles mystische Orte, woher kommt diese Neigung zur Mystik, die ja auch schon auf Regenballade zu beobachten war?

Reichel: Ich kann nicht leugnen, dass ich mitunter für mystische Stimmungen empfänglich bin. Sagen von untergegangenen Inseln und geheimnisvollen Reichen finden sich übrigens auf der ganzen Welt, insbesondere der Südsee – sie sind also keine „germanische Spezialität“. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit, in der wir uns mitunter schon selbst überholen, und ich finde es recht interessant festzustellen, wodurch so ein Untergang eingeleitet wird. Es war eben nicht immer so, das „die Natur es so wollte“, vielleicht war es schlicht und ergreifend die dem Menschen innewohnende Vermessenheit, seiner Neigung zur Selbsterhöhung, die zum Untergang einer Kultur beitrug.

SZ: Wie prägend waren denn Nordsee und Hamburg für Sie?

Reichel: Wenn ich den Einstieg in meine Karriere so betrachte, dann muß ich sagen, das Hamburg das Beste war, was mir so passieren konnte. Als ich in den sechziger Jahren anfing Musik zu machen, da waren die meisten Schallplattenfirmen in Hamburg, das sich ja immer als Tor zur Welt versteht, ansässig. Hier gab es den Star Club, hier konnte man Gruppen wie Beatles schon hören und persönlich kennenlernen, bevor deren großer Durchbruch und Ruhm kam.

SZ: Sie gelten als „Urvater der deutschen Rockmusik“. Was halten Sie denn von der Entwicklung im Rock- und Pop-Business in Deutschland?

Reichel: Man könnte meinen, die Rockmusik gehört nicht mehr den Künstlern, sondern der Industrie. Das finde ich nun wirklich ziemlich bedauerlich. Im Container oder Reagenzglas gezüchtete Künstler, das funktioniert offensichtlich besonders gut in einem Land wie Deutschland, wo die kulturellen Wurzeln ein Schattendasein führen. Im gesamten Bundesgebiet sind die Radiosender in einer Weise formatiert, das viele Songs und Bands, mögen sie auch noch so gut sein, nicht mehr rein kommen. Angesichts der Medienstrukturen, die mit ihrem Nummer-Sicher-Denken fordern, dass man als Künstler nur positiv zu denken und nicht von Tod oder Untergang zu singen habe, kann man doch nur innerlich gequält mit einem „Mein Gott, seid doch nicht so eng im Schädel!“ antworten. In der Blues-Musik wird seit unzähligen Jahren der Schmerz, die Wut im Bauch thematisiert – und von uns wird immer die Anleitung zum Frohsinn verlangt!

Sächsische Zeitung, 06. März 2002, Rubrik: Pop
Interview: Christian Ruf