The Rattles

„Rattle and Roll“

Am Anfang war das Radio
Begonnen hat meine Musikgeschichte zu Beginn der sechziger Jahre in Hamburg, St. Pauli. Ich war damals ein präsentabler 17jähriger Jung', der Rock 'n' Roll liebte und des Nachts Radio Luxemburg hörte.

Immer nur nachts, weil man diesen Sender in Hamburg nämlich nur um die Geisterstunde herum empfangen konnte und dann auch noch extrem verrauscht. Aber das machte mir nichts aus, denn auf RTL bekamst du Sachen um die Ohren gehauen, die du deutschlandweit sonst nirgendwo zu hören bekamst.

The Rattles

Übrigens war Radiohören zu dieser Zeit im höchsten Maße aufregend, weil es die Verbindung zu einer Kultur herstellte, die man ansonsten ja nur vom Hörensagen oder aus der Zeitung kannte. Und dann diese energetische Musik, die schien mir übersinnlich, als der helle Wahnsinn. All das machte einen unbeschreiblichen Eindruck auf mich.

Nur Chris Howland spielte die Top-Hits aus Übersee
In Deutschland war das Musik vom anderen Stern. Die konservativen Medien ignorierten den neuen Sound natürlich. Einzig „Musik aus Studio B“ im Nordwestdeutschen Rundfunk war da die löbliche Ausnahme. In dieser Show spielte Chris Howland die jeweilige Nummer Eins aus England und Amerika – erste Anknüpfungspunkte zum neuen Underground. Und das war es. Rock 'n' Roll war ja im höchsten Maße subversiv. Meine Freunde und ich waren natürlich alle Rock 'n' Roller und konnten mit der Schlagermusik hierzulande überhaupt nichts anfangen – war nicht unsere Welt.

The Rattles

Erste Vinyl-Scheiben per Mail-Order-Versand
Aber Gott sei Dank ließen sich internationale Platten über Mail-Order-Anbieter beziehen, schwedische beispielsweise. Meine erste Scheibe habe ich auf diesem Wege bekommen: One Dozen Berrys von Chuck Berry. Als die per Post eintraf, geriet ich völlig aus dem Häuschen. Das war echt das Größte. So eine Platte hast du auf dem Weg zu deinen Freunden vor dir hergetragen wie heute Designer-Klamotten. Zu meinem Glück lebte meine Schwester damals schon in den USA und besorgte mir neueste Musikware.

Meinen Mignon-Plattenspieler …
Und dann kriegte ich zum Geburtstag einen Mignon-Plattenspieler geschenkt. Der lief mit Batterien und hatte an der Seite einen Schlitz, in den man die Singles (LPs gab es damals noch gar nicht) einschob. Dazu konnte der noch mit einem integrierten Lautsprecher aufwarten – ein Vorläufer des Walkman, wenn man so will. Mit diesem Teil war ich King-Luis am Elbstrand.

The Rattles

… gegen eine Gitarre getauscht
Infiziert von meiner tragbaren Musikbox, machte mir ein damaliger Schulfreund, Wilfried Fröhlich, ein folgenschweres Angebot: „Tausche Deinen Plattenspieler gegen meine Akustikgitarre.“ Und die Klampfe wiederum zog mich magisch an. Also abgemacht. Dabei hatte ich nicht im Kopf, einmal ein Rock-Musiker zu werden, aber ich wollte doch sehen, ob ich wohl auch ein paar Griffe und Akkorde hinbekäme. Dieser Tausch war wie eine Initialzündung für mich.

Meine Beat-Platten hörte ich jetzt auf der Musiktruhe meiner Eltern und fand es zunehmend aufregend, zu der Musik auf meiner Gitarre zu improvisieren. Im nächsten Schritt versuchte ich heraus zu hören, wie man die Stücke spielt. Was noch einfacher funktionierte, nachdem ein Freund auf den Trichter kam, die Abspielgeschwindigkeit des Plattenspielers derart zu verlangsamen, dass sich die Gitarrenläufe Ton für Ton ausmachen ließen.

The Rattles

Mit Herbert Hildebrand dieRattles gegründet
Dann so um 1961 herum überraschte mich Herbert Hildebrand, ein alter Kumpel aus dem Fußballverein, mit der Ankündigung: „Ich habe jetzt auch eine Gitarre.“ Mittlerweile war die Schulzeit zu Ende und wir kamen in die Lehre. Am Rande bemerkt: Ich wollte Schiffssteward werden. Herbert zog es als KFZ-Lehrling eher unter Autos. Aber das Ganze hatte den schönen Nebeneffekt, endlich etwas Geld zu verdienen. Und einige Wochen später, erstand ich bei „Musik-Zingrebe“ in Hamburg-Wandsbek meine erste, bezahlbare E-Gitarre, eine Framus Hollywood mit verschiebbarem Tonabnehmer. Wenn ich mich recht erinnere, kostete die damals rund 190 Mark – ein Vermögen. Nicht lange und auch Herbert hatte eine elektrische Gitarre. So wurden wir zur Ur-Zelle der Rattles.

The Rattles

Jetzt musste natürlich ein Übungsraum her. Den fanden wir in einer städtischen Jugendfreizeitstätte, Hanseatischer Jugendbund mit Namen. Die Heimleiterin hieß denn auch stilecht „Ambrosius“ – werd' ich nie vergessen. Der verklickerten wir nun, wir seien eine Musikgruppe, ob sie nicht einen Übungsraum für uns hätte. Da wir uns nicht als Blockflöten-Ensemble vorstellten, bekamen wir ein Gewölbe unten im Keller zugewiesen – selbstverständlich inklusive mehr oder minder zahmer Ratten.

Röhrenradios als Gitarren-Verstärker
Was noch fehlte waren Verstärker für unsere Gitarren. Aber woher nehmen? Irgend jemand kam dann auf die Idee, die Gitarre über den Plattenspieler-Anschluss von Röhrenradios zu spielen. Mit diesen Klangschränken bekam man einen hervorragenden Sound hin. Nur Herbert war es vergönnt, einen echten Gitarren-Verstärker in den Keller zu schleppen (der Angeber), den er bei einem Altwaren-Händler aufgetrieben hatte.

The Rattles

Der erste Auftritt
Nun konnte es also losgehen. Und nachdem es eine Weile „losgegangen“ war, stand eines Tages „Ambrosius“ auf der Matte, beziehungsweise im Keller und meinte: „Wenn ihr schon bei mir üben dürft, müsst ihr auch mal etwas zum Besten geben, Jungs.“ Die Frau war ein echtes Original, resolut, aber freundlich und sehr, sehr tolerant.

Zu diesem ersten Auftritt schleppte unser KFZ- und Eisen-Profi Herbert echte Mikrofonstative an, die er aus Eisenrohren geschweißt hatte. Wir waren stolz wie Oskar… und spielten voll ausgestattet zum Tanz auf. So nannte man das damals. Die Leute im Saal begafften uns allerdings mehr, als dass sie tanzten. Und was dann nach der Show passierte, klingt eh wie aus einer Hollywood-Biografie entliehen – ist aber keine Mär, ehrlich. Es befand sich nämlich ein Musiker-Agent im Publikum, Manfred Woitalla, der nach unserem Auftritt prompt hinter die Bühne kam und einen vom Leder zog: Er hätte da einen Club in Hamburg-Bramfeld, dem er Bands vermittelte. Ob wir nicht Interesse hätten, dort am Wochenende zu spielen? Und es würde sogar bezahlt.

The Rattles
The Rattles

Fünfundzwanzig Mark und eine Ochsenschwanzsuppe
Unsere erste Gage sollte 25 Mark pro Mann, eine Ochsenschwanzsuppe und drei Freigetränke betragen. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Eben spielten wir noch in einem Kellerloch und plötzlich sollten wir auf eine richtige Bühne, vor der Leute stehen würden, um zu unserer Musik zu tanzen. So stellten wir uns das zumindest vor. Was wir nicht wussten: Das Publikum im „Thäder“, so hieß der Schuppen da in Bramfeld, bestand aus echt harten Gesellen. Damals war die „Dulsberg-Bande“ in Hamburg eine legendäre Größe, eine gefürchtete zudem – Rockertypen mit Lederkluft und Schmalztolle. Und die hatte sich diesen Laden als Stammlokal auserkoren. So dauerte es auch nicht lange, da stand ein Vertreter dieser Truppe vor der Bühne, winkte mich zu sich heran und forderte mich formvollendet und ausgesucht höflich auf: „Ey, lass mal meinen Bruder singen.“ Und da der so aussah, als dulde er keinen Widerspruch, fragte ich ihn: „Was will der denn singen, der Bruder?“ Man einigte sich auf Be-Bop-A-Lu-La von Gene Vincent. Dies' Liedgut war uns nicht fremd, der Jüngling enterte also prompt die Bühne, griff zum Mikrofon und bevor wir noch mit allem gebotenen Ernst die Instrumentierung in Angriff nehmen konnten, lag der Kerl schon schreiend auf dem Boden und zuckte wie unter Stromstössen – der Mann hatte Show-Bewusstsein.

Von dem Tag an waren wir im „Thäder“ respektiert. Da auch Manfred Woitalla der Meinung war, wir hätten die Feuerprobe bestanden, vermittelte er uns weiter ins angrenzende Umland. Wir drangen sogar bis nach Schleswig-Holstein und Niedersachsen vor und wurden schnell zu dem, was man gemeinhin Lokalmatadoren nennt.

Rock- und Twistband-Wettstreit im Star Club
Die nächsten zwei Jahre haben wir unter der Woche in unseren Jobs gearbeitet und am Wochenende gespielt, wo immer, wann immer und wie immer man uns gelassen hat. Freitags luden wir unsere Anlage ins Auto, damals passte das gesamte Equipement wohlgemerkt noch in eines, und gingen auf Tour.

Im Januar 1963 rief dann der Star Club zum ersten „Rock- und Twistband-Wettstreit“ auf und wir haben uns kurzerhand dazu angemeldet. Eine richtig große Sache. Bis zu diesem Event durften nämlich nur internationale Bands imStar Club spielen. Die Veranstalter sind denn auch vorab in unsere Konzerte gekommen, um sicher zu gehen, dass wir richtig was drauf hatten. Und wir hatten. Aber die Konkurrenz auch. Und jeder wollte natürlich gewinnen. Mama Bettys Band kam gar mit Fan-Bussen im Schlepptau angereist. Die wollten sicherstellen, dass ihre Combo auch das Siegertreppchen enterte. Gewonnen haben aber wir, in der ersten amtlichen Rattles-Besetzung: Neben Herbert und mir spielten noch Hayo Kreutzfeld die Rhythmus-Gitarre und Dieter Sadlowsky das Schlagzeug. Jeder Teilnehmer des Wettbewerbs durfte eine dreiviertel Stunde ran. Ich glaube, wir haben damals Songs wie Mashed PotatoesHippy, Hippy Shake und Roll over Beethoven zum Besten gegeben. Und mit Verlaub: Das ging ab. War waren schließlich wilde Jungs damals, echt wilde Jungs.

The Rattles

Eine Single mit Wirrnissen
Von da an hat uns der Star Club gemanaged. Unsere erste Single Mashed Potatoes wurde denn auch live im Club aufgenommen und von Philips vertrieben. Die Band allerdings wusste von den Aufnahmen zunächst nichts. Und so war es für mich – gelinde gesagt – eine kräftige Überraschung, als ich Cola nuckelnd in einer Eckkneipe in der Hamburger Marktstrasse von vertrauten Klängen aus der Musikbox aufgeschreckt wurde. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Das waren ja wir. Mashed Potatoes. Mann. Ich wusste überhaupt nicht, ob ich nun stolz sein oder aber vor Wut ausflippen sollte. Schließlich hatte uns zu dieser Veröffentlichung vorab niemand befragt.

The Rattles

Auf Wolke Sieben
Damals war Manfred Weißleder Besitzer des Star Club. Ihm hatten wir sozusagen unsere Seelen verschrieben. Und ihn fragte ich denn auch, wie sich das mit der Single überhaupt verhalte. Da stellte sich heraus, dass der Management-Vertrag des Star Club, den natürlich niemand von uns vor der Unterschrift so genau gelesen hatte, auch Plattenaufnahmen mit einschloss. Und nach dem anfänglichen Magengrimmen war uns das Ganze dann doch ziemlich egal. Die Freude über das Erreichte wog schließlich mehr als das Gefühl, übergangen worden zu sein. Wir schwebten auf Wolke Sieben: Immerhin durften wir als einzige Deutsche Band im Star Club spielen – als Haus-Kapelle quasi. Schlussendlich verdienten wir mit unserem Hobby auch noch Geld und hatten nun sogar eine Platte draußen.

The Rattles

Unser Schlagzeuger wollte nicht mehr üben
Und als sich dann auch noch herausstellte, dass die Live-Single bei den Käufern gut ankam, sollte eine ganze Rattles-LP folgen. Vorher galt es jedoch ein Problem zu lösen: Unser Schlagzeuger offenbarte uns nämlich seine feste Überzeugung, er brauche nicht mehr weiter zu proben, da er schließlich schon alles könne. Sieh an. Da wir diesbezüglich anderer Meinung waren, wurde er kurzerhand durch Dicky Tarrach ersetzt, der von Stund an bei uns die Knüppel schwang. Mit ihm betraten wir zum ersten Mal die geheiligten Hallen eines Tonstudios. Mehrspurtechnik gab es damals noch nicht. Also mussten wir auch im Studio live spielen, Musik und Gesang zur selben Zeit aufnehmen – in Mono selbstverständlich.

The Rattles

England-Tournee mit den Rolling Stones
Aber alles lief gut. Die LP wurde sehr erfolgreich und Manfred Weißleder schaffte es sogar, uns auf eine England-Tournee zu buchen – man stelle sich das vor. Das war eine so genannte Package-Tour mit sechs oder sieben Künstlern. Headliner waren Little Richard und die Everly Brothers. Ebenfalls am Start: Bo Diddley und die Rolling Stones. Wobei die Stones damals unter ferner liefen rangierten und drüben nicht bekannter waren als die Rattles. Jagger und Co. hatten just ihre erste Single veröffentlicht Come On. Zu dieser Tour gibt es diverse Anekdoten zu erzählen. Exemplarisch vielleicht eine: Damals war es groß in Mode, die Gitarre in Schulterhöhe zu spielen. Wir machten das natürlich auch. Eines Abends nach unserem Auftritt kam Bo Diddley in unsere Garderobe. „Jungs, ihr müsst die Gitarre nicht da oben halten, sondern hier“, sprach's und zeigte zwischen seine Beine, „das mögen die Ladys.“ Soviel zum Sex im Rock 'n' Roll. Auf die Geschichte mit den Drugs komme ich später noch zu sprechen.

The Rattles

Beatles-Blitz-Tour durch Deutschland
Im Laufe der nächsten anderthalb Jahre folgten noch zwei weitere England-Tourneen. Wir hatten drüben sogar einige Fanclubs. Und wenn wir nicht gerade auf der Insel unterwegs waren, spielten wir Deutschland rauf und auch gleich wieder runter. Ich glaube, es gab keinen „Tanzsaal“, keine Konzerthalle, keine Taverne oder Dorf-Scheune, in der wir nicht aufgetreten wären. Dieses Leben aus dem Koffer war Hayo, dem zweiten Gitarristen, irgendwann zuviel. Wir ersetzten ihn durch Rugy Rugenstein. Mit dem spielten wir 1965 die Beatles-Blitz-Tour. Zu diesem Zeitpunkt waren wir echt angesagt, auf dem Höhepunkt sozusagen. Unser erstes Konzert im Vorprogramm der Pilzköpfe kam derart gut an, dass die Zuschauer immer noch nach den Rattles brüllten, als sich schon die Beatles ankündigten. Das hat deren Manager, Brian Epstein, überhaupt nicht gefallen und flugs mussten wir am darauf folgenden Abend früher ran – um den Haupt-Akt nicht zu gefährden, ha ha. Aber im Ernst, mit den Beatles verband uns eine ereignisreiche Vergangenheit. Immerhin war man sich in frühren Star Club-Tagen schon des Öfteren über den Weg gelaufen und hatte das eine oder andere Bier zusammen genommen. Da gab es Sympathie und gegenseitigen Respekt.

Bund

Zum Bund statt nach Amerika
Der Boden schien bereitet für Amerika. Wir hatten ein Angebot, jenseits des großen Teiches auf Tour zu gehen. Aber Klein-Achim wurde zeitgleich zu den Grün-Männern beordert, was natürlich überhaupt nicht passte. Ich habe in meiner Verzweiflung vor einem Hamburger Gericht auf „Unabkömmlichkeit“ geklagt, mit der Begründung, so eine Chance wie diese Tour böte sich nie wieder und ich wäre halt für die Band unabkömmlich – so oder ähnlich. Der Richter schien der Argumentation auch ganz zugänglich und ich schöpfte schon Hoffnung, als er gegen Ende der Verhandlung den Beisitzer der Bundeswehr fragte, ob man mir denn einen Aufschub für die Tour gewähren könne. Der Armee-Knausel stand dann auf und sagte drei Worte, die ich nie vergessen werde: „nicht einen Tag.“

Damit war das Kapitel Rattles für mich 25 Jahre lang zugeklappt, bis es noch einmal aufgeschlagen wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mehr lesen unter Rattles ‚Hot Wheels‘ …