Pressestimmen

Achim Reichel

Autogrammstunde unter Polizeischutz

Jugendliche Begeisterung um „The Rattles“ – Glastheke ging zu Bruch

Aachen. – Einige hundert Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren drängten sich gestern Nachmittag in das Radiogeschäft „Allo Pach“ an der Adalbertstraße. Sie wollten „The Rattles“, die populäre deutsche Beatband sehen. Und sie wollten Autogramme von Achim Reichel, Herbert Hildebrandt, Hermann Rugenstein und Reinhard Tarrach. 

So heißen nämlich die jungen Bandmitglieder, die nicht nur in der Bundesrepublik, Holland, Belgien, Dänemark und in der Schweiz, sondern auch in England, der Heimat des Beats, Triumphe auf ihre Art feiern konnten. Die „Rattles“ hatten hinter der Theke alle Hände voll zu tun, um die Autogrammwünsche ihrer jugendlichen Verehrer zu befriedigen.

Gestern Nachmittag geschah in der Adalbertstraße genau daß, was vorauszusehen war, was bereits kürzlich bei der Autogrammstunde der „Lords“ bei Horten geschah: der Andrang der jugendlichen Fans war so gewaltig, daß wieder etwas in die Brüche ging. Diesmal war es eine Glastheke, so sah sich die Geschäftsleitung schließlich gezwungen, nach der Polizei zu rufen. Drei Beamte sorgten erst einmal für Luft. Sie drängten die Hälfte der Jugendlichen im Geschäft auf die Straße zurück. Die vier „Rattles“ konnten daraufhin weiter Autogramme austeilen. Die Jugendlichen stellten keineswegs ihr Johlen und Pfeifen ein. Sie richteten aber wenigstens keinen Schaden an.

Aachener Tagespresse – 1963


The Rattles

Das steht nur in mp, dem Fachblatt für Teenager:

DIE RATTLES SCHREIBEN IHRE EIGENE GESCHICHTE!

Achim sagte: „Los, wir fangen gleich an!“ Er pfiff, klopfte zweimal vor, dann hämmerten sie los: Sha-la-la… Oskar, Roadmanager, schleppte Bier und Cola für seine durstigen Schützlinge heran. Als er gerade die Adresse eines blond-langhaarigen Mädchens (mit dem ich auch schon versucht hatte, zu flirten) aufgeschrieben hatte, gesellte ich mich zu ihm. Die Rattles hämmerten weiter.

Schlagzeugsolo von Dickie, und das Völkchen vor der Bühne stampfte und shakte mit. Ich stellte mich vor: Manfred Lukas von Musik Parade, und mußte ansehen, wie Oskar das Gesicht verzog, als habe er in eine saure Zitrone gebissen. „Sind Sie das nicht,“ fragte er, „der die Filmkritik in mp geschrieben hat?“ Ich nickte bekümmert mit dem Kopf. Erst als ich Oskar erzählte, dass ich ausgezogen war, die große Rattles-Story zu schreiben, hellten sich seine Gesichtszüge wieder etwas auf. Angriff soll bekanntlich die beste Verteidigung sein:

Ich griff also an! Ob er denn den Film gut fände. Aber der Beat der Rattles war so laut, dass er meine Frage wahrscheinlich nicht verstanden hatte. Auch meine Frage, warum die Rattles eine Stunde zu spät gekommen seien, beantwortete er erst später.

Außerdem – um ganz ehrlich zu sein – war der Beat der Rattles viel zu gut, um dabei was weiß ich für Gespräche zu führen. Ich verschob also die Unterhaltung und tanzte mit mp's Maja Hoffmann. Oskar fing wieder an, mit der Blonden zu flirten, und als ich Maja über die Schulter warf, fragte er, ob das in Holland noch immer modern sei. Ich beruhigte ihn, und ein paar Minuten später saßen wir in einer Ecke und schlürften Bier. Maja, schon ganz im Banne der Rattles, schrie mit: „Achim, Achim.“ Und während im Hintergrund die Rattles ihre Gitarren bearbeiteten, lud ich Oskar ein, die Rattles zu überreden, mit und bei mir eine Tasse Kaffee zu trinken.

The Rattles

Der Auftritt der Rattles dauerte genau 45 Minuten. Hans, unser Fotograf, turnte zwischen den Fans umher und fotografierte die Rattles „in Action“. Hinterher habe ich das Händchenschütteln mit den Rattles, das Lästern von Achim wegen der Rattles-Film-Kritik und mp's „Rattlesfeindlichkeit“ über mich ergehen lassen. Dann saß ich mit Oskar und Achim im Fond des Ford-Kombis, in dem Oskar sich, die Verstärkeranlage und die Gitarren der Rattles beförderte. Die anderen ratterten in dem roten Fiat Sportwagen von Herbert und dem VW des Fotografen hinter uns her. Die Rattles waren schon in einer anderen Stadt aufgetreten, am gleichen Abend, und sie hatten sich auf dem Weg nach Hilversum verfahren. Daher kamen sie eine Stunde zu spät zu ihrem zweiten Auftritt. Achim und ich schimpften ein bißchen auf das Showgeschäft in Deutschland, Oskar und ich über die holländischen Autofahrer. Und dann, als wir endlich in meiner unaufgeräumten Junggesellenbude hockten, unterhielten wir uns alle schon so gut, dass wir gar keine Lust hatten, ein langweiliges Interview zu machen.

Achim zauberte eine Flasche Whisky hervor, während Maja in die Küche ging, um Kartoffelsalat zu machen (eine mp-Redakteurin muss auch darin perfekt sein!). Nach dem ersten Glas wurde das Pflichtbewusstsein in uns wach, die Rattles scharten sich um meine Schreibmaschine, und Achim fing an, die Rattles-Story zu erzählen, von seiner gesamten Mannschaft unterstützt. Sie kamen nicht sehr weit, denn man kann schlecht gleichzeitig Kartoffelsalat essen und die Rattles-Story schreiben. Ich schaltete also mein Tonbandgerät ein.

Gründer der Gruppe war Herbert, Achim half ihm dabei. Sie lernten sich kennen, weil sie zusammen beim FC St.Pauli in Hamburg Fußball spielten. Zweite Knaben. Achim war Torwart. Herbert stürmte.

The Rattles

Aber sehr bald entdeckten sie, dass sie außer Fußball noch andere gemeinsame Interessen hatten. Vor allem die, Geräusche zu machen, aus denen später einmal Musik werden sollte. Das war vor fünf Jahren. Da hockten die zwei in einem finsteren Hauskeller und bearbeiteten grimmig ihre Gitarren. Achim hatte sich die Gitarre gekauft, bevor er auch nur einen einzigen Griff darauf spielen konnte. Aber er steckte voller jugendlichem Tatendrang, und sehr bald wurde die Musik für ihn wichtiger als der FC St. Pauli. Bei einem Trödler erstand er billig eine elektrische Gitarre und glaubte, dass nun der Weg zum Weltruhm nicht mehr ganz so weit sein könne. Und den Tönen, die dem Lautsprecher eines alten „Volksempfängers“ entquollen, konnte man allmählich schon eine Melodie entnehmen. Aber Achim wusste auch, dass man mit vier oder fünf Leuten mehr Krach machen kann, als zu zweit. Er suchte also Gesinnungsgenossen und fand sie auch. Allerdings wurden diese ihrer Gesinnung zu schnell wieder untreu. Sie hatten nicht so viel Ergeiz und Energie wie Herbert und Achim. Dadurch änderten sie die Besetzung der Rattles immer wieder. „Am Anfang waren natürlich alle begeistert, aber jeden Tag üben und so, davon hielten die ja gar nichts,“ erzählte Achim, grinste, trank einen Schluck Whisky, und schielte zu Herbert rüber, der versprochen hatte, Achim zu unterbrechen, wenn der eine wichtige Episode in der Rattles-Story vergessen sollte.

„Na ja, und dann ging das so langsam weiter. Nach ein paar Monaten wurden wir mutig und zogen in einen anderen Keller, in einem Jugendheim diesmal. HJB nannte sich der. Das ist so Reeperbahn, hintenrum. Ein kleiner, schwitziger Keller, in dem es von der Wand herunterleckte. Dort hockten wir dann mit unserem Volksempfänger und unseren Gitarren. Wir waren stolz, wenn wir bei Clubabenden spielen durften. Am Anfang bekamen wir natürlich keinen Pfennig dafür. Dann kam so ein Typ und sagte: ‚Hört mal zu, ich kann euch übers Wochenende vermitteln, in einen Tanzschuppen, oder so.‘ Das tat er und wir zogen über die Dörfer. Jeden Freitag, Sonnabend, Sonntag. In der Woche arbeiteten wir. Seit unseren aller ersten Anfängen war inzwischen ein Jahr vergangen.“

The Rattles

Achim und Herbert erzählen gleichzeitig weiter. Der erste Beatwettstreit im Hamburger Star-Club, eine Sache, die so wichtig für die Rattles werden sollte, die große Wende brachte, daß Achim und Herbert noch heute aufgeregt werden, wenn sie daran zurückdenken. „Wir wollten mitmachen. Nicht, dass wir uns Chancen ausgerechnet haben, aber wir haben immer mitgemacht, wenn irgendetwas los war. Trotzdem: Es gab vorher eine große Ermutigung für uns. Das war in Bramfeld, im Thäder, da hat jeder eine Ochsenschwanzsuppe bekommen, eine Frikadelle und 25,-- DM. Das war natürlich große Klasse.“ Großes Gelächter, die noch größere Klasse kam hinterher: den Beat-Wettbewerb im Star-Club gewannen sie nämlich mit großem Abstand vor „Mama Betty's Band“. „Wir zogen von den Dörfern jetzt um, in den Hamburger Star-Club. Und das schärfste: wir verdienten jetzt so viel, dass wir uns auf Raten einen Verstärker kaufen konnten. Da schrubbten wir mit drei Gitarren über einen Verstärker. Wir kapierten selbst nicht warum, aber den Leuten, die uns im Star-Club hörten, gefiel unsere Musik. Und je länger wir im Star-Club spielten, desto bekannter wurden wir.“ Achim machte Pause, grinste Maja an, nahm eine Zigarette. Herbert sprach weiter: „Der große Knall kam, als uns der Star-Club Boss, Manfred Weißleder, anbot, auch werktags im Star-Club zu spielen. Und da hatten wir dann das Problem, mit dem eigentlich jede gute Amateurgruppe fertig werden muss. Tagsüber hämmerte ich an Autokarosserien herum, abends klemmte ich mich dann hinter meine Gitarre.“ Achim unterbrach laut lachend: „Ja, und ich flitzte tagaus tagein mit schwer beladenen Tabletts durch die Gegend, murmelte ‚haben sie noch einen Wunsch, Gnädige Frau,‘ und hielt die Hand auf. Und das wurde dann irgendwann ein bißchen viel.“

The Rattles

„Meine Mutter war fürchterlich dagegen, dass ich Berufsmusiker werden wollte. Sie wollte sogar einen Gitarrenkursus für mich bezahlen, damit ich Noten lernen und etwas ‚Anständiges‘ werden würde. ‚Mein Jung‘, sagte sie, ‚ich bezahl Dir das, aber mach bloß etwas Anständiges, nicht immer nur hämmern und schreien!‘“ Auch Herbert hatte große Schwierigkeiten. Solange das Gitarrenspielen nur Hobby war, hatten seine Eltern nichts dagegen gehabt. Die erste elektrische Gitarre von Herbert war sogar ein Geschenk seines Vaters. Als aber Herbert lieber auf der Bühne blieb, als dass er unter Autos krabbelte, verbot ihm sein Vater kurzentschlossen, Rattle zu bleiben. Und genauso kurzentschlossen riskierte Herbert den väterlichen Zorn, und setzte sich über das Verbot hinweg. Sie wurden also Berufsmusiker und brachten jeden Abend den Star-Club zum Vibrieren. Was ihnen jetzt noch fehlte, war eine Schallplattenaufnahme, die schneller kam, als sie erwartet hatten. Eines Abends rollte ein riesiger Aufnahmewagen vor den Star-Club: Die Philips-Ton Schallplattengesellschaft wollte live einen Beat-Abend im Star-Club aufnehmen. Tony Sheridan war da, die Searchers und eben auch die Rattles, die noch keinen Schallplattenvertrag hatten. Die Rattles spielten „Mashed Potatoes“ und „Hello“, und beide Titel wurden ein so großer Erfolg, das Philips die Rattles unter Vertrag nahm. Noch einen Vertrag unterzeichneten sie damals mit dem Star-Club Besitzer Weißleder, der ihr Management übernahm.

Manfred Weißleder arbeitete sehr eng mit einem englischen Konzertagenten Don Arden, zusammen, der britische Beat-Gruppen in den Star-Club vermittelte. Und einmal, als Don Arden an der Bar saß, Bier trank, sich mit einem Bar-Mädchen unterhielt, kam er auf den klugen Einfall, diesmal eine deutsche Gruppe nach England zu schicken. Das Gerattle der Rattles gefiel ihm. Er trank Bier mit ihnen und fragte: „Hey, Boys, habt ihr nicht Lust, mal nach England zu gehen?“ „Natürlich hatten wir Lust!“

„Wir fingen an zu üben, wie die Wilden. Jeden Nachmittag, bevor wir dann am Abend wieder auf der Bühne standen. Natürlich war das eine verdammt schwere Zeit“, sagte Achim achselzuckend, „aber welcher deutschen Beatband wird denn schon einmal die Chance geboten, eine England-Tournee zu machen? Unser damaliger Schlagzeuger, Dieter Sadlowski, sah das nicht ein. Er war der Meinung, dass wir doch schon ganz schön weit nach oben gekommen seien und noch größere Höhen reizten ihn nicht. Er erklärte uns für verrückt und verließ uns.“

The Rattles

Die Rattles suchten kurz vor Beginn der England-Tournee einen neuen Schlagzeuger und fanden Reinhard Tarrach, der damals Mama Betty's Band im Star-Club-Wettbewerb auf den zweiten Platz getrommelt hatte. Zwar hatte er in der Hamburger Landesversicherungsanstalt einen großen Schreibtisch, sowie die Anwärterschaft darauf, einmal Inspektor zu werden. Aber all das gab er auf und zog mit den Rattles, kurz bevor sie dann endgültig nach England aufbrachen, in ein Schallplattenstudio, wo sie „Zip A De Doo Da“ aufnahmen. „Das war unsere zweite Platte,“ erzählte Achim zwischen zwei Bissen von seinem Käsebrötchen. Das Kauen zwang ihn zu Sprechpausen. Dafür stritten sich Rugy und Dickie, welche Platte sie als nächste auflegen wollten. Dickie war für die Rückseite von der Dylan Platte, die noch auf dem Plattenteller lag, während Rugy, um Dickie zu ärgern, das „wie George, John, Paul und Ringo“ von der Mama Betty Band auflegen wollte. Achim würgte die letzten Brötchenreste herunter, spülte nach und seufzte: „England, ich weiß ehrlich nicht, wo ich da anfangen oder aufhören soll. Wir haben so sagenhaft viel erlebt, damals, 1963. Die Everly Brothers waren ‚top of the bill‘, also der große Zieher. Dann waren da noch Little Richard, Bo Diddley, die Rolling Stones, die 1963 noch unbekannt waren, Micky Most, der jetzt Produzent von den Animals ist und nicht mehr singt, ja, …wer war denn noch dabei… ach so, Julie Grand zog auch mit, acht Wochen kreuz und quer durch England.“

Gerüchteweise haben die, die damals schon das internationale Beatgeschehen verfolgt haben, mitbekommen, wie erfolgreich die Rattles bei ihrer Englandtournee waren. Schon während ihrer ersten Tournee wurden zwei Fanclubs gegründet, einer in Liverpool und einer in London, die noch heute bestehen. Im gleichen Jahr, im Dezember, gingen die Rattles noch nach England. Sie waren von Bob Whooler, einem der Cavern-Club-Besitzer, in Hamburg für eine 14-Tage-Tournee durch England gebucht worden.

„Da haben wir wirklich Arbeiten gelernt,“ erzählen die Rattles. „Wir haben in drei oder vier Städten an einem Abend gespielt. Man kann sich kaum vorstellen, was das heißt: 20 Minuten Show, zusammenpacken, weiterhetzen zur nächsten Show. Um 11.00 Uhr ist fast überall Schluß, und in den drei Stunden davor hat man auf vier verschiedenen Bühnen gestanden. Eine ganze Nacht im Star-Club ist weit weniger anstrengend als diese Hetzerei. In England machten wir auch unsere erste Fernsehshow. Das deutsche Fernsehen hielt nicht besonders viel von Leuten mit langen Haaren.“

Achim grinste, zündete sich eine neue Zigarette an, als ich ihn bat, mehr über diese Fernsehshow zu erzählen. „Aufgeregt waren wir eigentlich nicht, nur fürchterlich albern, vor allem, weil die ein Interview machten, und wir dann mit dem letzten Englisch. Das war das Allergrößte. Zip A De Doo Da kam auch in England als Platte heraus und stand in Nordengland sogar in den Hitparaden. Mersybeat, eine Pop-Zeitschrift in Liverpool, und damals spielte sich ja noch fast alles in Liverpool ab, hat unheimlich viel über uns geschrieben.“

Ich habe mir inzwischen die Mappe schicken lassen, in der die Schallplattenfirma der Rattles Zeitungsausschnitte aus englischen und deutschen Zeitungen (mp war auch darunter) schicken lassen, und werde Ausschnitte daraus in der nächsten mp übersetzen. In der nächsten mp darum, weil es da erst richtig losgeht mit den England-Erlebnissen der Rattles, und weil aus sympathischer Bescheidenheit die Rattles ihre wirklichen Erfolge in England in dieser Nacht nicht an die große Glocke hängen können. Stattdessen erzählte Achim, wie dreckig es ihnen bei ihrer ersten England-Tournee gegangen war.

Inzwischen sind die Rattles viermal in England gewesen. Erinnerst Du Dich noch des großen Fotos, das wir in mp 6 von den Rattles veröffentlicht haben? Es wurde 1964 in Liverpool vor dem bekanntesten Beat-Gruppen-Hotel aufgenommen. Und aus dem Wagen, in dem die Rattles auf dem Foto gerade ihre Instrumente verstauen, wurde ihnen 1964 ihre gesamte Ausrüstung gestohlen. Doch darüber und über ihre England-Abenteuer erzählen Dir die Rattles in der nächsten mp.

Musik Parade – 25.4.66