Konzertberichte

Nachtexpress '84

„Nachtexpress“, ACHIM REICHEL und seine Band, Tour '84, am 26. Januar 1984, 20 Uhr im großen Konzertsaal des Kieler Schlosses.

Das ist sicherlich eine der erfreulichsten Nachrichten aus der deutschen Rockmusik-Szene. Als der Hamburger Anfang 1982 nach einer fast zwölfjährigen Bühnenabstinenz wieder tourte, war die Hölle los. Ein Publikum, das von 12 - 40 reichte: Schrieb ein Journalist damals: „REICHEL '82 war einer der bedeutendsten Abende des Rock. Eigenständigkeit und Ideenreichtum, gepaart mit musikalischer Brillanz, findet man in dieser Dichte nicht noch einmal!“

„REICHEL ist Rock 'n' Roll, so echt, so gegenwärtig, so livehaftig wie selten zuvor.“ Man kann jede Wette darauf abschließen, dass der REICHEL '84 diese Bewertung noch übertreffen wird.

Wer dem Phänomen ACHIM REICHEL auf die Spur kommen will, fragt gern nach den Ursprüngen. Aber mit einer ganz bestimmten Frage kann man Achim ganz schön auf den Keks gehen: „Wie war das damals mit den Rattles?“ Da diese Epoche längst Rockmusik-Geschichte ist, sollte er ruhig ein wenig stolz sein, wenn ihn Journalisten immer wieder mit diesen Memories nerven. Denn ACHIM REICHEL zählt zu den ganz wenigen deutschen Rockmusikern, die damals die Pfähle eingerammt haben, auf denen bei uns die Rock- und Popmusik basiert. Als sich Udo Lindenberg noch nicht selbst entdeckt hatte, begeisterte ACHIM REICHEL bereits die Teens und Twens der Republik. Seit über 20 Jahren zählt er nun schon zu den Ideenlieferanten und Schrittmachern der Rockmusik-Szene. Der Multi-Instrumentalist, Produzent und Musikverleger hat durch ständige künstlerische Transfusionen dazu beigetragen, dass Rock 'n' Roll-Musik hierzulande längst Volksmusik geworden ist. ACHIM REICHELs Auffassung von Rockmusik kommt ohne Haken und Ösen aus, ist einfallsreich arrangiert. Und dass ACHIM REICHEL im Norden Deutschlands zu Hause ist, kann seine Musik nicht verleugnen. Dabei „steht“ er auf Milieu, als einen Lebensraum, in dem die Zwischenmenschlichkeit noch pur ist, wenn auch ohne Chi-Chi und Glamour, wo mitunter die Ratten Tango tanzen, klar, aber wo der Weg zum Herzen des Nachbarn noch direkter ist als anderswo. Solche Stimmungen und Gefühle könnte man ja als Musiker mit einer sämigen Geigensoße übergießen, Pseudosentimentalität vortäuschen, ein bisschen Weinerlichkeit rein tun … Aber damit haben Achim und seine Texter nichts am Hut.

Wenn wir die überwältigende Resonanz, die ACHIM REICHELs neueste LP „Nachtexpress“ geweckt hat, auf seine bevorstehende Tournee '84 transponieren, kann man ohne Bedenken ein Zitat der „Berliner Morgenpost“ heranziehen, das aus einer Rezension von Januar 1982 stammt: „Der Auftritt des Rock-Musikers war eine Sternstunde deutscher Rockmusik“.

Hier hat ein Musiker mit Können, Glaubwürdigkeit, Einfallsreichtum und unbändigem Spaß am Musizieren die Kluft zwischen den Generationen überbrückt. Und so wird es auch bei der bevorstehenden Tournee der Fall sein. „Wir werden keine gigantischen Verstärkeranlagen in Einfamilienhaus-Größe auf der Bühne haben. Nur das Nötigste. Meine 6 Musiker und ich werden Musik mit der Hand machen. Und wir werden eine szenische Atmosphäre auf die Bühne zaubern, in der sich Inhalte und Phantasien unserer Songtexte wieder spiegeln.“

Kieler Markt – 19. Januar 1984


Neuzeitlicher Legendenerzähler

Achim Reichel und Band im Metropol

Ein hervorragendes Konzert! Zwei Stunden lang spielte sich ACHIM REICHEL, seit den sechziger Jahren unermüdlicher Vorreiter einer immer breiter gewordenen westdeutschen Rockmusiker-Szene, durch sein riesiges Repertoire, das ihm inzwischen den Rückgriff auf stilistisch höchst unterschiedliche „Abteilungen“ erlaubt. Seine eingeschworene Fan-Gemeinde bewundert zunächst eine wohl unterschwelligen „Casablanca“ entnommene Bühnenkulisse, nämlich die durch Leuchtschriften erhellte Fassade eines imaginären „Hotel L'Orient“, das der Hamburger in einem seiner neuesten Songs besingt. In dessen schummrigen Gemächern verschwindet der Sänger und Gitarrist nicht nur wiederholt zum kurzen Kostümwechsel. Dort lässt er ebenso Bauchtänzerinnen hinter aufgezogenen Rollos auftreten oder eine junge Frau die Koffer packen zum Auszug aus der vertrauten Zweisamkeit, je nachdem, was die Textzeile gerade erfordert.

Sprachlich geschliffene und atmosphärisch dichte Songlyrik hat sich ACHIM REICHEL in den letzten Jahren von Autoren wie Jörg Fauser, Uli Becker, Richard L. Wagner oder Jürgen Theobaldy schreiben lassen und das spezielle Flair vieler Stücke entströmt nicht zuletzt den darin gesungenen, „erzählten“ Bildern und Geschichten. Der multitalentierte Hamburger kann in glücklichen Momenten allerdings auch selbst hervorragend texten – die neun Strophen von „Seidenrosenduft“ beweisen es, auch musikalisch eines der schönsten, ruhigsten Lieder, von in melodiösem Moll verfliegenden Keyboard-Linien getragen, die gut zu seiner rauchig-kühlen Stimme passen. Ansonsten gehen dieser unverbrauchte Rock 'n' Roller der ersten Stunde und seine vorzügliche Band meistens etwas heftiger zu Werke, und zwar gerade da, wo man es am wenigsten erwartet. Theodor Fontanes Verse über „Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ sind in schnellem Rock verpackt, Detlev von Liliencrons „Pidder Lüng“ in satten Blues-Riffs.

Mit erstaunlicher Beharrlichkeit werden von den Fans jene schon etwas älteren Stücke gefordert, die ACHIM REICHEL diesmal in einer Art „Seefahrer-Abteilung„ gebündelt auf die Metropol-Bühne bringt: bläuliche Lichtwellen und künstliche Nebelschwaden überfluten Hotel-Kulisse sowie Verstärkeranlagen, als etwa der „Klabautermann„ sein Unwesen treibt. Gerade ACHIM REICHELs moderne Versionen alter Shantys gehören zweifellos zu den sonderbarsten, originellsten Schöpfungen der deutschsprachigen Rockmusik überhaupt. ACHIM REICHEL kann hier sein großes Talent als neuzeitlicher Legendenerzähler voll ausspielen. Er interpretiert und durchlebt diese sehr wahrhaftigen Volksmärchen auf der Bühne regelrecht, zum großen Vergnügen der Fans übrigens, die offenbar jedes Wort auswendig kennen.

Der Spaß an der selbst gewählten Misch-Rolle zwischen Rock 'n' Roll, Geschichtenerzähler plus ein bisschen Schauspielerei mag viel zu der frischen Bühnenpräsenz beigetragen haben, mit der ACHIM REICHEL zudem seine Berliner Anhängerschaft erfreut.

Jochen Metzner Der Tagesspiegel/Berlin – Samstag, 11. Februar 1984


Achim Reichel

… Und auf der Bühne ist er immer noch ein Erlebnis. Kein Konzert, das man abhakt. Zusammen mit seiner Begleitband vermittelt der hanseatische Blondschopf die Begeisterung und Freude am Rock, die er bei seiner erfolgreichen Tournee im Januar '82 nach langer Bühnenabstinenz wieder entdeckt hat. Ein Comeback war's nicht; er war nie weg vom Fenster, sondern ackerte auf anderen Ebenen des Musik-Business (Produzent, Verleger, Plattenfirmen-Manager, Talent-Scout). „Er war die erste Kultfigur für Deutschlands junge Beat-Generation“, schrieb die „FAZ“. Von dieser Vergangenheits-Pracht allein braucht ACHIM REICHEL heut' nicht zu zehren – wie einige seiner Altergenossen. Er rockt (noch) mitten im Geschehen. Seine Hoffnung gefärbten Milieu-Fetzen verdienen offene Ohren.

(WA) Tip – 2/1984, Rubrik: In Concert