Tour 2012 - Nachlese

Noch nie zuvor in meiner gesamten Laufbahn war ich vier Jahre in Folge mit ein- und demselben Tourneeprogramm unterwegs. Noch dazu mit einem Programm, bei dem es nicht nur darum ging, zwanzig Lieder abzuspielen und Tschüss zu sagen, sondern auch darum, zu erzählen, wie es war in einem Leben aus der Wundertüte, mit dem Fahrstuhl nach oben, der jederzeit auch wieder abwärts rauschen konnte.

"War es das mit der Karriere oder wo geht's jetzt weiter?“ - das habe ich mich zwischendurch oft fragen müssen. Doch während ein Jahrzehnt nach dem anderen vorüber rauschte, wuchsen meine in musikalischer Landschaft hinterlassenen Duftmarken zu blühenden Gärten heran und ich konnte erleichtert tief durchatmen.

Es schien, als wäre alles erreicht und ich dachte, es könnte an der Zeit sein, mit einer besonderen Art von Tournee-Programm noch einmal allen Dank zu sagen: Dem Leben mit all dem, was es in seinem Füllhorn für mich bereithielt. Den Menschen, meiner größten Inspirationsquelle. Und der Musik, die mir zur zweiten Sprache wurde.

Euch allen ist SOLO MIT EUCH gewidmet.

Dank auch an Pete Sage, welcher zwölf Jahre der Geiger an meiner Seite war und jetzt, begleitet von unseren guten Wünschen, mit Santiano auf Erfolgskurs segelt. 

Sein Nachfolger wurde mit Spannung erwartet, und als es dann soweit war und auf Gut Bardenhagen nach dreieinhalb Stunden der Tourneeauftakt 2012 gespielt war, da waren sich alle einig: Larry Matthews ist der neue dritte Mann im Bunde. 

Mit dem irischen Folkfiddler und Multi-Instrumentalisten kam frischer Wind in die Segel. Das Glück wollte es, dass wir uns fanden. 

Egal, wo auf der Landkarte wir mit unserer kleinen Zeitreise-Show Station machten und die Bühne enterten, es blieb nach der letzten Zugabe das schöne Gefühl, einander näher gekommen zu sein. 

Die vierte Staffel als Storyteller mit Musik sollte dennoch meine letzte Tour dieser Art sein. Schon vier Wochen später geriet der Entschluss ins Wanken…  Es brachte einfach eine Riesenfreude, sich nach einem Jahr Bühnenabstinenz wieder den Wind um die Ohren wehen zu lassen. Wenn am Abend die Lichter angingen und zwischen uns Musikern die Funken vor Spiellaune nur so sprühten, dann war es, als würden wir die Zeit überwinden, den Himmel küssen oder kleine Wunder vollbringen... Getragen von guter Stimmung waren wir heute hier, morgen dort, kein Tag war wie der andere und unsere erfahrene Roadcrew sorgte dafür, dass alles nach Plan verlief.

Trotz des enormen Pensums war es "stressfreies Arbeiten", wie Feuerlein, unser Chief für die Bühnentechnik, es so treffend zu umschreiben pflegte. Nur wenn er an Helgoland dachte, umwölkte sich seine Stirn. 

Ich hatte es ohne dabei an Logistik gedacht zu haben, für eine originelle Idee gehalten, die Tournee auf Deutschlands einziger Hochsee-Insel enden zu lassen. Dass dabei Transportwege zu bedenken waren, die uns zweieinhalb Stunden über ein offenes Meer führen sollten, versprach für die Verlade-Aktion ausnahmsweise ein nicht ganz stressfreies Arbeiten zu werden. Also hofften wir darauf, dass die spätherbstliche Seewetterlage es wenigstens gnädig mit uns meinen würde…

Die blieb dann auch ganz ruhig und fuhr dafür mit dickem Nebel auf - und wir mittendurch. Draußen war nichts zu sehen, umso mehr auf dem Fährschiff! Ich wunderte mich darüber, wie viele Menschen es zu dieser Jahreszeit noch nach Helgoland zog. Bis es mir langsam dämmerte. Der erste fragte nach einem Autogramm und der nächste, ob ein Foto miteinander möglich sei und der dritte erzählte mir, sein ganzer Schützenverein sei an Bord und alle freuten sich schon seit langem auf den heutigen Abend. So ging das munter weiter, bis ich dachte, es sei mal an der Zeit, sich die Beine zu vertreten. Draußen war es feuchtkalt und rundherum schien alles wie in Watte gepackt. Es hatte etwas leicht Beklemmendes, als würde unser Weg durch die Wolken ins Nichts führen. Aber das Bermuda-Dreieck war weit entfernt und umso schöner war es, als aus dem Nebel irgendwann der rote Felsen auftauchte. Wir waren am Ziel unserer letzten Etappe. 

Die letzte ausverkaufte Show auf Helgoland hatte es in sich.  Vor einem bestens aufgelegten Publikum brannten wir unser letztes Feuer ab, als würde es kein Danach mehr geben. Dann, nach geschlagener Schlacht, als alle Last von uns abgefallen war, gaben wir uns glückstrunken der Feierlaune hin.  

Bis jemand mit einer Sturmwarnung in die Party platzte: "Die einzige Fährverbindung zurück ans Festland wird nicht wie geplant um 14 Uhr, sondern schon um 9 Uhr in der Frühe ablegen". "Wenn es denn dabei bleibt", meinte Karl, und Karl war Helgoländer und sollte sich wohl auskennen. Manchmal, da konnte die Insel tatsächlich zur Falle werden… Wenn das Wetter es wollte, dann würden wir hier festsitzen, 63 km Luftlinie vom Festland entfernt. Schließlich machten wir uns auf den Weg, heraus aus den Katakomben der Nordseehalle und hinein in die schwarze Nacht, mit Inseltaxi war nix, also trotteten wir los. Entlang der Kurpromenade fauchte der Sturm, dass die Klamotten am Leibe flatterten. Des einen oder anderen ohnehin schon schwankender Gang hatte beim Tänzchen mit dem Wind Mühe, auf den Beinen zu bleiben. 

Am nächsten Morgen war es, als wäre die Stunde Null über uns gekommen. Wir fanden uns wieder unter Hunderten von Menschen, die mit ihrem Gepäck dem Fähranleger zuströmten. Am Himmel braute sich was zusammen, leichter Nieselregen setzte ein und alles beeilte sich, aufs Schiff zu gelangen. Als endlich auch wir dann mit Sack und Pack an Bord gelangt waren und es uns in unserem reservierten Bereich bequem gemacht  hatten, war das schon mal gut für ein tiefes Durchatmen. Leicht übernächtigt und mit noch nicht ganz brummfreiem Schädel ging mein Blick durch das sich füllende Unterdeck. Putzmunter schien hier niemand zu sein, den Passagieren hing ein gewisser Neujahrs-Katzenjammer an, man war kaputt aber glücklich. Wir teilten alle das gleiche Los: es war spät geworden vergangene Nacht.

Am liebsten hätte ich ein wenig Schlaf nachgeholt, doch kaum,  dass wir abgelegt und aus dem Windschatten der Insel hinausgelangt waren, begann es auf unserer kleinen Seereise nach Cuxhaven turbulent zu werden. Den Blicken durch das Bullauge zeigten sich tiefe, schäumende Wellentäler und im nächsten Moment dunkle Wolken am hohen Himmel. Im Zuge des Auf und Ab, im Hin und Her, begann sich nicht nur das Tischgeschirr auf die Wanderschaft zu begeben, auch mancher Mageninhalt folgte dem Wellengang in die falsche Richtung. Gesichter verfärbten sich vom Aschfahl bis ins Gelblichgrüne. Rundherum spielten sich Szenen ab, von denen ich hoffte, sie würden mir erspart bleiben.

Den aus kluger Voraussicht auf allen Plätzen bereitgelegten Kotztüten wurde reges Interesse entgegen gebracht. Andere zogen es vor, sich schwankenden Schrittes an die frische Luft zu begeben. Dort suchten sie nach einem ruhigen Punkt am Horizont, in der Hoffnung, er würde ihnen dabei helfen, ihren Gleichgewichtssinn wieder zu finden. 

Doch wir fuhren der Schlechtwetter-Front rasch davon. Irgendwann grollte der dunkle Himmel nur noch in unserem Kielwasser, und als das Festland am Horizont in Sicht kam, glitten wir bereits auf ruhiger See dahin - als wenn nichts gewesen wäre. Der Wind nahm ab und die Wolken gaben, oh Wunder, einen blauen Himmel frei. Seekranke erwachten zu neuem Leben und Berry kam mit zwei frisch gezapften Bieren. Wir stießen auf zwanzig Jahre gute Zusammenarbeit an und versprachen einander, noch was drauf zu legen.

Ringsumher unter den Passagieren machte sich Aktivität bemerkbar, Damen machten sich landfein, Herren schauten schon mal nach dem Gepäck. 

Bald würden wir das Festland erreichen und unsere kleine verschworene Gemeinde würde sich wieder mal, wie schon so oft zuvor, in alle Winde zerstreuen.

Seitdem dieses Bühnenkonzept am 26.10.2009 im Wuppertaler Rex-Theater Premiere hatte, waren damit vierundachtzig SOLO MIT EUCH - Shows über die Bühnen gegangen, und dafür mussten sechzehntausend Kilometer gefahren werden. Wir spielten auf in Konzerthäusern und Theatern, in Schlössern und Kirchen, Festsälen und Zeltbauten, auf Landgütern, wie auch in Stadt- und Kongresshallen, und - wir fuhren sogar über das Meer!

An jenem Abend, als wir bei unserer glückstrunkenen Abschlussfeier auf Helgoland feststellten, dass uns von der Einhundertsten SOLO MIT EUCH Aufführung nur sechzehn Konzerte trennten, da waren alle der einhelligen Meinung: Lasst uns in 2013 die Hunderter-Marke knacken, wir haben ja ein Jahr Zeit, um uns zu erholen.... !

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