Interview zum 40-jährigen Bühnenjubiläum

Fast 40 Jahre im Show-Geschäft – wie hält man das durch?

Ich muss zugeben, dass das nicht nur am Können liegt. Es kann aber auch nicht nur mit Glück zu tun haben. Man braucht sicher beides.

Am Anfang dachte ich: Wenn du 30 wirst, musst du dir einen vernünftigen Beruf suchen. Aber jetzt weiß ich, ich bin wohl geboren worden für den Kram. Einen besseren Job kann ich mir gar nicht vorstellen.

Du hast viel ausprobiert: Rock, Pop, Blues und auch Shantys. Lust auf Abwechslung oder eher eine ständige Suche?

Beides. Wenn man aufhört zu suchen, wird es schnell langweilig. Hat man Freude an der Veränderung, ist das eine gute Basis. Ich bin ein Suchender. Dabei habe ich in den letzten Jahren nicht immer nur die 12 getroffen. Es gab Sachen, die waren weniger erfolgreich. Aber damit kann ich leben, weil ich dahinter stehe – trotz der Misserfolge. Das ist mir lieber als nach Trends zu schielen.

Angesagt sind jetzt wieder Oldiefeten. Wenn die Rattles da auftreten, dann ohne dich. Reizt Dich das heute nicht mehr?

Nein, wir haben 1988 Reunion-Konzerte und ein Album gemacht, beides recht erfolgreich. Aber, mein Gott, die Rattles-Kiste ist mehrere Jahrzehnte her! Man ist doch mittlerweile ein anderer geworden.

Und Du bist nach Deinem Ausstieg bei den reformierten Rattles immer noch gut auf Deine alte Band zu sprechen?

Damit hab' ich kein Problem. Um überhaupt dieses Reunion-Ding mitmachen zu können, brauchte ich damals eine Freistellung meiner Plattenfirma. Ich musste der Company aber zusichern, und das war für mich selbstverständlich, dass die Rattles-Aktivitäten nicht meine Solo-Projekte behindern dürfen. Irgendwie war das mit den Rattles für mich so eine Art Klassentreffen, wo man noch einmal gemeinsam das Lieblingsfach durchzieht. Es hat wirklich viel Spaß gemacht, war zum Teil aber auch äußerst bizarr.

Gab es nicht am Anfang nach dem ansehnlichen Erfolg mit „Hot Wheels“ einen Moment, wo es Dir möglicherweise in den Sinn kam, die Solokarriere zugunsten der Rattles aufzugeben?

Das hätte ich nur getan, wenn der Erfolg von einer Größe gewesen wäre, die das auch rechtfertigt. Aber so war das nicht. Und ich merkte auch sehr schnell, dass diese neue “alte„ Band mehr Vergangenheit als Zukunft hatte. Denn es war nicht zu übersehen, dass die Leute in erster Linie Sachen wie „Come On And Sing“ oder „The Witch“ und nicht die neuen Stücke hören wollten.

Hörst Du Dir die alten Songs denn noch an?

Die fliegen einem hier und da ja aus dem Radio entgegen. Mal anhören ist auch etwas anderes, als sie immer wieder live zu spielen.

Hast Du Dir übrigens den Film „The Wonderbeats“ angesehen, der angeblich die Geschichte der Rattles nacherzählt?

Das mit dem Film war eine ziemlich schräge Angelegenheit. Irgendwann hat mir der Regisseur des Films, Claude Oliver Rudolph, ein Drehbuch zugeschickt. Und dann hat er mich angerufen und gefragt, wie ich es denn finden würde. Ich hab' ihm geantwortet, wenn das ein authentischer Film über die Sixties und die Rattles sein soll, dann sind da einfach zu viele Dinge drin, die nicht stimmen. Okay, meint er, dann komm ich zu dir und du kannst mir erzählen, wie's wirklich gewesen ist. Wir haben uns dann lange unterhalten. Und eine Woche später bereits hatte ich ein neues Drehbuch in Händen. Als ich es dann aber – aus terminlichen Gründen – ablehnte, in seinem Film die Rolle des Manfred Weißleders (Star Club Besitzer) zu übernehmen, habe ich nie wieder etwas von Herrn Rudolph gehört.

Bist Du eigentlich stolz darauf, immer noch am Ball zu sein?

Manchmal frag ich mich schon so Sachen wie: Warum gerade du? Alle anderen sind weg vom Fenster, die trifft man nur noch bei Nostalgiefestivals. Die spielen da – weil sie gar keine andere Wahl haben – die Lieder von früher, aus einer Zeit, in der sie gerade anfingen, sich zu rasieren. Da bin ich schon sehr froh, dass mir dieses Los erspart geblieben ist.

Haben Live-Konzerte noch eine Bedeutung für Dich?

Konzerte sind für mich das Tollste überhaupt. Denn man spielt ja nicht für sich allein, sondern vor allem für ein Publikum. Dabei kommt ein Feedback zustande, das mehr ist als nur Geräuschkulisse. Wenn man so lange im Geschäft ist wie ich, begreift man es als Geschenk, noch ein Publikum zu haben.

Wie erklärst Du Dir Dein Überleben?

Da gibt es viele Antworten, und es spielen auch so Dinge eine Rolle, wie zur richtigen Zeit in der richtigen Stadt geboren zu sein. In Hamburg sind nun mal die meisten Plattenfirmen, und da war auch mal der Star Club und zwar zu einer Zeit, als das mit dem Rock n Roll begann. Das erklärt aber auch nur den guten Start. Später bin ich irgendwie meinen Instinkten gefolgt, und ich musste mir des öfteren anhören, das einige Schallplattenfunktionäre sagten: Schon wieder neue Musik? Das ist ganz unklug. Man kann ja verstehen, dass du als Künstler das so siehst, aber du musst auch an deine Fans denken, die wollen, dass du weiter diese oder jene Musik machst. In solchen Momenten habe ich dann nicht selten gesagt, dass ich zu diesem oder jenen aber eben keine Lust mehr hätte.

Worauf denn zum Beispiel?

Das Englisch-Gesinge beispielsweise. Das war noch gut, als ich in so einer Nacheiferphase war. Aber irgendwann wurde es für mich notwendig, mich in meiner eigenen Sprache auszudrücken, nicht nur die angloamerikanischen Attitüden nachzuempfinden.

Nun sind Plattenfirmen sehr ängstlich, wenn es darum geht, etwas zu tun, was Du vorher nicht gemacht hast und wovon sie nicht wissen, ob es Erfolg hat. Das brachte schon Probleme mit sich. Ob das nun Shantys waren oder die Sachen mit den alten und neuen Dichtern: „So ein elitärer Quatsch, was soll das“, haben die gesagt. Aber wenn die gleichen Plattenfirmen dann sehen, dass es doch funktioniert, und wenn das vielleicht sogar häufiger passiert, dann lassen sie einen erst einmal in Ruhe.

Und was bedeutet es Dir nun genau, Deutsch zu singen?

Ich kann mich als Deutscher besser in meiner Muttersprache ausdrücken als auf Englisch. Mittlerweile betrachte ich das sogar schon als kulturpolitische Tat. Denn wenn man hier das Radio anschaltet, ist man doch schon erstaunt, wenn mal eine Ansage auf Deutsch kommt. Besonders wenn ich aus dem Urlaub komme, denke ich manchmal, ich wäre eine Grenze zu weit gefahren. Das ist die Politik der meisten Rundfunkanstalten: Die spielen pro Stunde nur ein deutschsprachiges Stück, höchstens. Die Deutsche Sprachkultur wird zwar im Ausland vom Goethe-Institut in Milliardenhöhe subventioniert, gefördert und dargestellt. Aber hierzulande, da passiert genau das Gegenteil. Das finde ich, ohne dass ich nationalistisch eingestellt bin, völlig falsch, weil das die Hörer ihrer eigenen Sprache entfremdet.

Was bedeuten Dir überhaupt Liedtexte?

Zunächst einmal leben wir in einem Land, in dem man dazu neigt, den Lied-Texten sehr viel Wert beizumessen, sofern man diese versteht. Der Kollege Rio Reiser hat dagegen einmal einen bemerkenswerten Satz gesagt: „Die besten Texte sind die, die nicht stören!“ Ich kann das nur unterstreichen. Menschen, die Songs ausschließlich über den Kopf erfassen, tun mir leid. Ich mag Texte, vor allem, wenn diese sich auch noch vielfältig auslegen lassen. Viele Leute wollen aber gar nicht selber deuten, die wollen nur wissen, was Sache ist.

Wo holst Du Dir die Inspirationen für Deine Texte?

Also, beim Zähneputzen, beim Joggen oder beim Autofahren kommen meist die Melodien – ganz oft beim Joggen, weil das auch so 'ne Rhythmussache ist. Da hat man dann den Groove im Leib – taptaptap. Texte fangen bei mir zumeist damit an, dass ich irgendwo irgendwelche Gesprächsfetzen aufschnappe. Dann schreibe ich mir sofort Text-Zeilen auf einen Zettel. Und die wandern in eine Schublade. Außerdem habe ich ein Diktiergerät, in das ich Einfälle hineinsingen und mit Fußnoten versehen kann. Das sind die kreativen Urimpulse, die kommen noch spielerisch. Ich habe mittlerweile ein Ohr für originelle Zitate. Das Texte fertig ausfeilen ist sehr zeitaufwendig, das ist richtige Arbeit und schwer, weil Inspirationen nicht auf Bestellung kommen.

Heute mehr als in den Sechzigern?

Ja, damals war mehr möglich, da war noch nicht alles so festgeschrieben. Und dann die Millionen-Betrügereien heute, und die Natur geht vor die Hunde – das macht vor allem jungen Menschen irgendwie Angst. Ich frage mich: Wie will man dabei normal bleiben, wie will man da zu einer lebensbejahenden Einstellung kommen? Eine Freundin aus der Hafenstraße hat mal zu mir gesagt: Wenn die Menschheit gerettet wird, dann durchs Gefühl. Da ist was dran. Und mit diesem Wissen sitze ich vor meinem Textblatt und denke, solche Probleme kennen auch andere. Also versuche ich, den Leuten etwas zu liefern, was ihnen keine heile Welt vorgaukelt, aber trotzdem nicht nur „miesepeterich“ rüber kommt. Schlimm – aber es ist ja schon eines der bedrohtesten Güter überhaupt, mal gut drauf sein zu können.

Was bedeutet Dir Melancholie in diesem Zusammenhang?

Viele Leute verwechseln Melancholie mit Depression. Dabei kann Melancholie ein durchaus angenehmer Zustand sein, ähnlich einer Meditation, wo man sich von all dem, was einen so piesackt löst und die Dinge einfach ziehen lässt. Für mich ist Melancholie nichts, wovor man Angst haben muss.

Zurück zur Musik. Dein Stil wird zwischen Rock und Schlager eingeordnet. Was sagt du dazu?

Ich habe Shantys verrockt, dann klassische und moderne Balladen vertont, mit Dichtern gearbeitet. So etwas finde ich interessant, und so bin ich am besten. Meine musikalischen Roots liegen in den Sechzigern: Rock 'n' Roll, Beat, Rhythm and Blues. Die „Beatles“ hab ich kennen gelernt, als sie eine ganz normale Band auf St.Pauli waren. Aber ich bin weder ein US-Boy noch ein Engländer. Und deshalb versuche ich, meine kulturellen Zusammenhänge herzustellen und Traditionen aufzugreifen. Deshalb habe ich die Shantys, die für mich eine Art Weltfolklore sind, ebenso gesungen wie auf der „Regenballade“ Texte von Goethe und Fontane. Damals hatte ich entdeckt, dass es in Deutschland schon lange Texte wie „Pidder Lüng“ gab, die völlig frei von Sprachnebeln waren – und ich habe sie vertont, obwohl viele Kritiker gesagt haben, das will doch keiner hören, damit haben sie uns schon in der Schule gequält.

Also plädierst Du für eine neue Art von Volksmusik?

Jaaa, für mich ein interessantes Thema. Wir haben doch ein sehr reduziertes Bild von diesem Genre. Nur die Bayern haben es da leichter, die haben ihren Jodler, ihre Blasmusik, Zither und Hackbrett – ein eigenes Instrumentarium halt. Und wie gut das funktioniert, sieht man doch an der Tatsache, dass deren regional gefärbte Musik als die Deutsche Volksmusik überhaupt angesehen wird. Das kann aber doch nicht alles sein, oder? Dabei mag ich die Vorstellung einer Musik des Volkes schon ganz gern. Was für mich zählt in der Volksmusik sind deren innere Werte – die hat so was Familiäres. Da kommt man selbst dann noch mit, wenn man im Kopf eigentlich schon längst breit ist. Volksmusik muss schräg, muss auch dilettantisch sein dürfen, die muss auch überschäumen oder triefen – alles ist erlaubt.

Wie ist denn dein Verhältnis zum deutschen Schlager?

Nach meinem Verständnis beschreibt der Schlager eine heile Welt. Er richtet sich an den Harmonie-Wunsch, die Harmonie-Sucht in uns allen. Weil das Leben aber nicht nur aus Sonnenseiten besteht, ist mir dieser Anspruch nicht umfangreich genug. Meine Figuren liegen dementsprechend oftmals ziemlich daneben. Ich teile auch etwas zwischen den Zeilen mit, möchte Gefühle ansprechen.

Hast du übrigens jemals daran gedacht, etwas anderes zu machen als Musik? Vielleicht zur See fahren, oder so?

Ich bin auf St.Pauli aufgewachsen, mein Elternhaus steht in der Hafenstraße mit Blick auf die Elbe. Mein Vater und mein Großvater sind zur See gefahren. Ich hatte das auch vor. Und ich habe sogar Kellner gelernt, um wie mein alter Herr, als Schiffssteward zur See zu fahren, die ganze Welt ansehen und so. Die Gitarre kam dazwischen – und dann wurde es irgendwie auch ganz interessant. Und zur See gefahren, bin ich denn auch nie – ab und zu über die Alster, das war's aber auch schon.

Kannst Du denn überhaupt schwimmen?

Na hör mal, ich hab' den Fahrtenschwimmer. Und sogar das Deutsche Sportabzeichen.