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Reisegepäck eines Seebären auf Landpartie

„Wahre Liebe“ – „Das musikalische Resultat eines Irland-Urlaubs. Ich war ganz von den Socken, wie da an allen Ecken und Kanten, in allen Kneipen und Pubs Musik und Melodien blühten. Dieser Song hier basiert auf der alten irischen Volkweise Carrickfergus.“

„Im nächsten Leben“ – „Da geht es um die Schäden, die wir unserem Planeten zufügen, und die während unserer Lebensspanne eigentlich gar nicht mehr auszuräumen sind. Über diese Thema hätte man eigentlich nur einen tief depressiven Song machen können – oder so einen, der zwar bitterböse ist, das Thema aber mit Galgenhumor anpackt. Die ironische Wirkung wollten wir auch durch das Country/Rockabilly-Gewand verstärken.“

„April, April“ – „Ein Song über einen Ehekrach. So etwas kommt in den besten Familien vor, gehört einfach zum Leben – deswegen sollte man sich auch mal künstlerisch damit auseinandersetzen!“

„Amazonen“ – „Spielfilm und große Oper. Der Amazonen-Chor besteht aus 48 Choristen und Choristinnen vom Opernchor des NDR. Fand' ich ganz spannend, so etwas mal zu machen. Zum Inhalt: Das ist beileibe kein Macho-Song! Die Frauenwelt, die hat was zu bieten – das weiß ich einfach!“

„Cabrio Joe“ – „eine Glück-im-Unglück-Geschichte: Einer baut einen Unfall, kommt gerade noch heil davon, lernt dadurch aber eine tolle Frau kennen. Ich fand die Idee witzig, in diesem Song das Riff aus Born to be wild auftauchen zu lassen. Wer weiß, vielleicht war der Cabrio-Joe ja mal ein Biker?„

„Chic-O-Mat“ – „Wollte man einen Blues in seiner reinen Form spielen, währ' ich wahrscheinlich nicht der richtige Mann dafür. Aber als musikalische Form ist er sehr dehnbar, man kann ihn weiter transportieren, was Neues, Eigenes draus machen – das hab' ich hier zu dieser Geschichte vom Anrufbeantworter-Frust versucht.“

„Liebe ist 'ne seltsame Droge“ – „Den Song wollte ich ursprünglich gar nicht aufs Album nehmen, aber da haben alle meine Musiker rebelliert: ‚Das ist doch der alte Achim, das kannste doch nich' weglassen!‘.“

WOM-Journal – November 1993


Achim Reichel mußte seine Amazonen zähmen

Kommen die Zeiten der Zensur wieder? Den Song „Amazonen“ vom aktuellen Album „Wahre Liebe“, zu dem der NDR-Opernchor die Background-Vocals beisteuerte, mußte Achim Reichel jedenfalls mit neuem Text noch einmal aufnehmen. Der Grund: Viele Radiostationen in Berlin und Süddeutschland weigerten sich, den Titel zu senden. Denn er sei frauenfeindlich und Textpassagen wie „Wenn die Schlacht vorbei ist, wollen Amazonen ihren Spaß, dann knallen sie mit den Peitschen nach jedem Männerarsch“ dürfte man niemanden zumuten. Hat man den Klabautermann mit dem Seebären-Organ mißverstanden? Ausgerechnet Reichel soll ein Macho sein? Nein, Sexismus sollte man ihm nicht unterstellen, wenn sein ironischer Frauen-Power-Song in die Zeile „Wenn du ein Kerl bist, dann mußt du es ihnen eben geben“ mündet.

Seine 30 Jahre im Beruf des „Tankwarts“, wie er sein musikalisches Leben heute aktuell betitelt, haben aus ihm allerdings auch keinen sanften Alt-Rocker gemacht, der hilflos nach jugendlichem Appeal fahndet. Denn wer von Musikclowns, Seemännern und Schneidern abstammt, wer den Talentwettbewerb zur Eröffnung des Starclubs (dessen Eigentümer er später für kurze Zeit war) mit den Rattles gewann – von so einem Mann kann nicht nur das Prädikat Altrocker übrig bleiben.

Daß er keineswegs nur in Nostalgie schwelgt, wird der in der Hamburger Hafenstraße aufgewachsene Blondschopf heute (Sa, 15 Uhr) im hoffentlich trockenen aber leider schon ausverkauften Stadtpark unter Beweis stellen. Deswegen gibt's am 25.11. in der GrFr Nachschlag.

Oliver Barckhan
Mopo – 28.8.93