die Lieder

1. Der Rosenmund
Die erste Strophe schlug bei mir ein wie der Blitz und ich wollte das ganze Lied danach ausrichten. Darum sind alle folgenden Verse neu hinzugekommen. Diese alte Liedstruktur hat nach ihrer Restaurierung so etwas wie einen gewissen Pop-Song Appeal und darum hab ich auch einen hinzugefügt.

Schon erstaunlich, welch ein Glanz unter dem Staub von 100 Jahren verborgen war. Wenn ich diesen Song in Englisch vorgetragen hätte, wäre niemand auf den Gedanken gekommen, dass das vielleicht ein Lied von uns sein könnte. Die Ursprünge dieses Liedes lassen sich zurück verfolgen bis zum Ambraser Liederbuch von 1582, sein Text lud schon immer zum Hinzufügen deftiger Zweideutigkeiten ein und wurde 1840 durch den Liedersammler Zuccalmaglio entschärft.

2. Der Lindenbaum (Am Brunnen vor dem Tore)
Basiert auf einer von Friedrich Silcher (1789-1860) volksliedhaft veränderten Melodie aus Franz Schuberts Winterreise op. 89, Nr. 5. Der Lindenbaum gilt in der Germanischen Mythologie als Baum der Göttin Freya und als Symbol der Liebe. Dieses Lied hab ich schon als Kind gehört, aber wirklich erreicht hat es mich erst sehr viel später. Offenbar musste mir die Antenne dafür erst wachsen. Das Verblüffende ist, wenn du dieses Lied nur so ein klein wenig durch die „Britische-Inseln-Brille“ musikalisch anguckst, dann ist es schlagartig in der Gegenwart. Und dann wird dir klar – ja, so machen die das da drüben mit ihren alten Folksongs. Die spielen solche Sachen mit der Sichtweise, die zur Gegenwart passt. Und das habe ich auf dem gesamten Album auf meine Art auch versucht. Und beim Lindenbaum ist auch ein bisschen Keltisches durchaus drin. Aber das macht nichts, das ist OK. Weil – die Kelten waren schließlich Europäer und waren unter anderem auch in Bayern zuhause.

3. Die Gedanken sind frei
In Gedanken können wir uns von der Wirklichkeit zurückziehen. In den Gedanken werden auch die neuen Ideen geboren und so will es nicht verwundern, dass dieses Lied nach der Französischen Revolution eine Karriere als Kampflied, heute würde man „Protestsong“ sagen, hatte. Auch war es von der staatlichen Zensur immer wieder verboten, zuletzt zu Zeiten des Nationalsozialismus. Volkslieder sind im Laufe ihrer Jahrhunderte dauernden Existenz oft umgeschrieben und erweitert worden, so auch dieses. Der Urheber der Melodie blieb unbekannt, während beim Text u. a. Hoffmann von Fallersleben seine Hand mit im Spiel hatte. An Melodie und Text habe ich kaum was verändert. Nur den Rhythmus habe ich auf eine andere Bühne gehoben. Aus dem ursprünglichen Walzertakt wurde ein Vier-Vierteltakt – mir gefällt es besser so.

4. Hohe Tannen
Diese Melodie aus dem Frankenland, war bereits um 1855 unter dem Titel „Wahre Freundschaft soll nicht wanken“ bekannt. Die Textversion „Hohe Tannen“ ist mit großer Wahrscheinlichkeit nach dem ersten Weltkrieg im ehemals deutschen Oberschlesien entstanden. Viele Volkslieder sind für verquere Weltanschauungen missbraucht und für lange Zeit durch sie kontaminiert worden. Ich habe darum die letzte Strophe geändert. Da ist jetzt meine Botschaft drin: „Volkes Lieder, Götter Sagen, von den Fesseln der Falschheit befreit“. Diese Melodie hat vielleicht ihre Unschuld verloren, aber nicht ihre Schönheit.

5. Im schönsten Wiesengrunde
Diese Melodie lässt sich mit dem Titel „Unter den Linden grüne“ bis ins Jahr 1601 zurückverfolgen. Bis sie dann mit dem Text von den „Drei Lilien“ 1833 zu einem Soldatenlied wurde. Aber erst Wilhelm Ganzhorn gab ihr 1850 die uns heute bekannte Titelzeile „Im schönsten Wiesengrunde“. Und wenn sich jetzt zu der freier aufgefassten Melodie ein Reggae-Rhythmus gesellt hat, dann geschah das nur, weil sie auf der Suche nach einer rhythmischen Auffrischung war. Dabei war ich gern behilflich. Und siehe da, es geht auch anders. Volkslieder sind wie Bäume – du kannst ihnen die Krone stutzen, die Wurzeln bleiben erhalten.

6. Kein Feuer, kein Kohle
Na, das ist doch so was von urig und bodenständig und hat auch irgendwie so einen bluesigen Hilfeschrei in sich. Na denn: Geteiltes Leid ist halbes Leid, liebe Brüder und Schwestern! Und so stimmt alle mit ein und helft mir zu beklagen „die heimliche Liebe von der Niemand nichts weiß“. Überliefert auf einem „fliegenden Blatt“ von Jemandem, der es gewusst haben muss.

7. Der Mond ist aufgegangen
Auch eine von diesen Melodien mit Ewigkeitswert und das Gedicht von Mathias Claudius zählte Thomas Mann zu seinen absoluten Lieblingstexten. Bei dieser Aufnahme mit ihrer langen Einleitung entfaltet das langsame Tempo einen meditativen „out of space“-Zauber. Aus diesem Grund hab ich mich auf zwei von sieben Versen beschränkt, sonst wäre das Ganze zu lang geworden.

8. Oh wie kalt ist es geworden
Hoffmann von Fallersleben war ein Professor für deutsche Sprache und manchem auch als Liederschreiber bekannt. Er galt als Dichter und Rebell. Dass so einer auf Helgoland das „Deutschland-Lied“ hervorgebracht hat und mir mit seiner „Sehnsucht nach dem Frühling“ die Vorlage zu diesem Song lieferte, macht ihn mir richtig sympathisch. Eins der ganz wenigen Lieder, die in einer Molltonart stattfinden. In dem Text ist eine große Natursehnsucht spürbar und eine fast schon prophetische Zivilisationsmüdigkeit hinsichtlich unserer heißlaufenden Industriewelt. Der Text von Hoffmann von Fallersleben hat mich sehr berührt, obwohl er um die 150 Jahre alt ist, passt er für mich in die heutige Zeit. Ich habe die Original-Akkorde übernommen und die Melodie nach meinem Geschmack verändert.

9. Röslein auf der Heiden
Goethe hat sich ganz offensichtlich von einem 250 Jahre älterem Volksliedtext mit dem Titel „Sie gleicht wohl einem Rosenstock“ anregen lassen. Hier wie dort endet jede Strophe mit der Zeile „Röslein auf der Heiden“. Auch heißt es, der große Meister habe eigene Erfahrungen in Sachen Liebesleid zum Anlass genommen. Für dieses Gedicht gibt es über 50 verschiedene Melodien (u. a. von Johann Friedrich Reichardt, Franz Schubert, Robert Schumann, Johannes Brahms etc.). Ich habe mich von der Version des Braunschweiger Musiklehrers Heinrich Werner anregen lassen, welche am 20. Januar 1829 im Konzert der Braunschweiger Liedertafel, die er als Dirigent leitete, zum ersten Mal vorgetragen wurde. Dass dieses Lied aus heutiger Sicht gewisse Parallelen zum Gospel-Genre beinhaltet, mit Vorsänger und antwortendem Chor, war für mich eine interessante Entdeckung und brachte mich auf die Idee mit der Orgelbegleitung.

10. Leise zieht durch mein Gemüt
Beide, Heine und Mendelssohn, hatten einen engen Bezug zu Hamburg. Hier galt Mendelssohn als Wunderkind. Er schrieb bereits mit 12 Jahren erste Sinfonien. Wie sich seine Melodiefolge jetzt in einen swingenden Backbeat schmiegt, der erst 100 Jahre später auf einem anderen Kontinent erfunden wurde, zeigt ihre zeitlose Klasse. Und die Sprachgewandtheit von Heinrich Heine, lässt Wort und Melodie wie füreinander bestimmt erscheinen. Die rezitativ vorgetragene Mittelstrophe war ursprünglich nicht Bestandteil des Liedes und stammt ebenfalls aus dem Heinrich Heine Zyklus „Neuer Frühling“.

11. Du liegst mir (im Herzen)
Du liegst mir (im Herzen) Volkslieder tauchen tief in das kollektive Unterbewusstsein ein, um irgendwann in einem neuen Gewand wieder aufzutauchen. Sie verkörpern die Grundstandards aller Liedarchitektur. Dieses alte um 1830 aus Nord-Deutschland überlieferte Volkslied hat Harmoniefolgen, die mich an Beatles-Songs der Sechziger Jahre erinnern. Und der Text erzählt die ewiggültige Geschichte von der unerwiderten Liebe. Heute würde man sagen: „Da hat einer den Blues.“

12. Die Ballade von den Königskindern
Ein Freund verkaufte mir einst eine 12saitige spanische Bandoura. Die hatte einen wunderbaren Klang, ließ sich aber leider nie lupenrein stimmen. Und so führte sie ein wenig beachtetes Leben in meiner Instrumentensammlung. Doch eines Tages, da holte ich sie hervor, stimmte sie so gut es ging und siehe da, es purzelte ihr eine Melodielinie aus den Saiten, die mich geradewegs zu dem Lied von den Königskindern führte. Auch bei diesem Lied habe ich die Akkordstruktur verändert. Durch den ostinaten Wechsel bekommt das Lied eine neue Atmosphäre. So etwas zu beobachten, erweckte in mir so ein richtiges Schatzgräber-Feeling, und das gab mir dann auch ziemlich viel Rückenwind. Überhaupt habe ich diese ganzen Lieder als sehr variabel gesehen. Zwischen „Aus dem Lied hat er ja ein ganz etwas anderes gemacht“ bis zu „So ist das Original auch gewesen“ liegt ja ein ganz weites Feld. So wurde aus dieser Volksballade, mit ursprünglich bis zu 20 Strophen, ein 7-Strophen-Minidrama.

13. Weißt Du wieviel Sternlein stehen
Kinderlieder wollte ich eigentlich nicht mitnehmen. Umso überraschter war ich, wie schnell sich diese fröhliche alte Melodie an ihr neues Zuhause gewöhnte. Auch dieses Lied war ja ursprünglich ein Walzer. Jetzt kommt es ein wenig Cajun-mäßig daher. An der Stelle möchte ich daran erinnern, dass das Akkordeon, wie auch die Mundharmonika, eine europäische Erfindung war, die hinaus in die Welt gegangen ist und mittlerweile von manch einem so verstanden wird, als käme sie aus dem Mississippi-Delta, weil Cajun- und Bluesmusik ohne diese Instrumente gar nicht denkbar sind.

14. Ick bün Kock, segt he
Die musikalische Vorlage stammt aus dem Singspiel „Ein Wiener in Berlin“ von 1824 (In Berlin, sagt er, musst du fein, sagt er &hallip;) und wurde mit dem plattdeutschen Text des Hamburger Arbeiterdichters Heinrich Schacht zu einem der bekanntesten deutschen Shantys. Es soll mal so etwas wie das Zunftlied der Schiffsköche auf den alten Seglern gewesen sein. Zumal die meisten unserer Seefahrer gar nicht von der Küste, sondern aus Sachsen und Bayern kommen, fand ich es ganz passend dem Lied ein Volkstanzmotiv hinzu zu fügen, welches man eher mit dem Süden unseres Landes verbindet.

15. Hammonia
hochdeutsch: HAMBURG,
altlateinisch: HAMMABURGUM,
neulateinisch: HAMMONIA

Dieser Bonustrack ist eine Hommage an meine Heimatstadt. Als Schutzgöttin der Stadt erschien HAMMONIA erstmals zu Zeiten des Mittelalters auf städtischen Theaterbühnen. Das Lied HAMMONIA von Johann Albert Gottlieb Methfessel, 1828 zur 300-Jahr-Feier der Bürgerlichen Kollegien aufgeführt, wurde um 1890 in gekürzter Fassung zur inoffiziellen Hymne der Freien und Hansestadt Hamburg. Für unsere Zeit sind die alten Verse Georg Nicolaus Bärmanns nur noch in Auszügen verwendbar. „Heil über dir“ wollte mir nicht über die Lippen und Pfeffersack-Herrlichkeit wie eine heilige Kuh zu preisen, muss nicht sein. Ich lass die Kuh lieber fliegen.

Die Titel

  1. Der Rosenmund
  2. Der Lindenbaum (Am Brunnen vor dem Tore)
  3. Die Gedanken sind frei
  4. Hohe Tannen
  5. Im schönsten Wiesengrunde
  6. Kein Feuer, kein Kohle
  7. Der Mond ist aufgegangen
  8. Oh wie kalt ist es geworden
  9. Röslein auf der Heiden
  10. Leise zieht durch mein Gemüt
  11. Du liegst mir (im Herzen)
  12. Die Ballade von den Königskindern
  13. Weißt Du wieviel Sternlein stehen
  14. Ick bün Kock, segt he
  15. Hammonia