Konzertbericht

Rattles: Hot Wheels auf Nostalgie-Trip

Die Beat-Veteranen aus dem „Star Club“ polieren am alten Glanz der 60er Jahre

„Wir müssen uns ein bißchen beeilen, im WWF-Club warten schon die nächsten Journalisten“, unterbricht der Promoter seine „Stars“, die Rattles, beim Gespräch mit der FR in einer gemütlichen Ecke im Düsseldorfer Holiday Inn-Hotel. „Ach Du Scheiße“, stöhnt Achim Reichel, von einer nächtlichen Party noch etwas übermüdet, und beißt sich sofort auf die Zunge; „Oh, Entschuldigung.“

Nach einer lebhaften Nacht kann einem gereiften Rocker schon mal der eine oder andere Kraftausdruck über die Lippen kommen, und reife Herren, das sind die Rattles mittlerweile allesamt. 1960 von Achim Reichel (Gitarre) und Herbert Hildebrandt (Baß) in Hamburg gegründet, haben sie in 14 unterschiedlichen Besetzungen bis 1977 durchgehalten – dann war Schluß. Bis heute.

Zusammen mit zwei weiteren Rattles-Veteranen der frühen Jahre, Dicky Tarrrach (Schlagzeug) und Henner Hoier (Keyboards) schicken Achim und Herbert ihre alte Band mit der neuen LP „Hot Wheels“ jetzt noch einmal ins Rennen.

In den 60ern waren sie so ziemlich die einzige deutsche Rock-Band die hierzulande mit Songs wie „Mashed Potatoes“ oder „Stoppin' in Las Vegas“ Akzente setzte und sich darüber hinaus auch in Großbritannien einen Namen machten. Dort gingen sie anno dazumal mit den Stones auf Tour.

Aber ihr eigentliches Mekka blieb der Star Club in Hamburg, in den 60ern ein renommiertes Trainingslager für aufstrebende Rock- und Beatbands – zum Beispiel für die Beatles, mit denen die Rattles 1966 durch Deutschland zogen. „Wenn wir jetzt darüber reden, kommt's mir so vor, als sei das schon 100 Jahre her. Als Anlage hatten wir damals zwei Boxen vor der Bühne, heute kommen die Bands mit fünf Sattelschleppern“, sinniert Achim, der in den letzten Jahren auch unter eigenem Namen sehr erfolgreich war.

Beim Stichwort Star Club tauen sie alle merklich auf, fördern sie noch einmal markante Bilder zutage, schmunzeln über John Lennon, der, so Dicky Tarrach, „um vier Uhr morgens mit einer Klobrille um den Hals auf der Bühne antanzte. Sowas wird's nie wieder geben.“

Fragt sich nur, warum sie jetzt wieder an den Start gehen? Sicher, sie sind mit Spielfreude bei der Sache, lassen die „Good Times“ noch einmal rollen, aber sonst?

„Hot Wheels“ ist ein sauber produziertes Album, das sich vornehmlich aus den Einflüssen der 60er und 70er zusammensetzt – Nostalgie pur eben, lauwarm, aber überhaupt nicht „Hot“. Zu allem Übel haben sie ihren bis dato größten Hit The Witch (1969) auch wieder aufgebrüht. Besonders originell ist das nicht gerade. „Die Leute erinnern sich an die Ur-Besetzung der 60er und an The Witch, alle anderen Besetzungen waren uninteressant“, meint Herbert., „und den Hit hat Henner gesungen, als wir gar nicht mehr bei der Band waren. Wir haben den Song auf das Album gepackt, weil wir die Beziehung zu Henner aufzeigen wollten.“ Ob sie mit dem aufpolierten alten Soundgewand mehr Leute erreichen, als ihre Fans von damals? „Ideal wäre es, wenn die ganze Familie käme und die Eltern ihre Kinder mitbrächten“, meint Dicky, die anderen lachen laut los.

„Das ist sein Lieblings-Ding, die Kinder gleich mitbringen“, schmunzelt Herbert und Achim stichelt gleich weiter: „Wir können ja mal eine Familienkarte für unsere Konzerte anbieten, das wäre doch interessant.“ Ihren alten Sound haben sie nicht verloren, ihren Humor auch nicht.

Und live wollen sie es auch noch einmal wissen; am Samstag, 26. November, kommen die Rattles nach Marburg (Audimax) und am Montag, 29. November nach Hanau ins Druckhaus.

Martin Scholz
Frankfurter Rundschau, 24.11.88


Richtig nett

The Rattels in der Stadthalle

1962 in Hamburg auf der Reeperbahn: Im neueröffneten „Star Club“ gewinnen die Lokalmatadoren „The Rattles“ den Wettbewerb als „beste Beatband“. Ein Jahr später touren sie durch England und werden da als deutsche „Beatles“ gefeiert. 1966 bestreitet die Band bei einer Blitztournee der „Beatles“ durch die Republik das Vorprogramm.

Szenenwechsel: Stadthalle Bremen 1988, es gastieren „The Rattles“. Auf der Bühne ein typisches Beat-Combo-Set: Mini-Schlagzeug, zwei Gitarren, Baß, verstärkt durch einen Radioapparat und einen betagten Verstärker Marke „Eigenbau“. „Come on and sing“ spielen die vier Herren und es klingt, als sei man ins Jahr 1962 zurückversetzt. Daß Achim Reichel sofort eine Gitarrenseite reißt ist, wenn nicht inszeniert, ein hübscher Zufall. Doch dieses Szenario entpuppt sich als bloßes Vorspiel; es blitzt und donnert, ein Vorhang fällt, nun erst sieht man die ganze Tiefe der Bühne, unfangreiche Verstärker, ein riesiges Schlagzeugensemble sowie die zwei Gastmusiker an Gitarre und Keyboards, mit denen sich die „Rattles“ für die Tournee verstärkt haben.

Es ist so, als sei man auf dem Emblem der neuen „Rattles“, einem Damenpumps mit Rädern dran – sozusagen einem Rock'n'Roll-Schuh – entsprechend ihrem neuen LP-Titel auf „Hot Wheels“ (Heißen Rädern) vom Beat- ins Rockzeitalter gedüst. Daraus entwickelte sich dann ein munteres Hin- und Herfahren zwischen Altem und Neuem. Achim Reichel und Konsorten ließen fast nichts aus, bereiteten aus Kartoffelmus („Mashed Potatoes“) und Blumenkohl („Cauliflower“) ein nahezu komplettes Menü, hatten aber auch ein Bündel neuer Songs im Repertoire.

Die vollmundige „Originalbesetzung“, mit der für das Konzert geworben worden war, erwies sich bei genauerem Hinsehen als nur bedingt korrekt: Zwar sind Reichel (Gitarre/Gesang) und Herbert Hildebrandt (Baß/Gesang) tatsächlich „Rattler“ der ersten Stunde, und auch Trommler Reinhard „Dicky“ Tarrach ist schon seit der zweiten Stunde dabei. Mit Henner Hoier (Gesang/Keyboard) haben diese drei allerdings nicht zusammengespielt, der stieg erst 1969 bei den „Rattles“ ein – und da waren Reichel, Hildebrandt und Tarrach längst nicht mehr dabei. Aber wer wollte schon so genau hinsehen, zumal Hoier mit Kopfstimme so schön hoch singen konnte: den wohl größten Rattles-Hit „The Witch“ etwa, oder „Only You“. Ansonsten besorgte Herbert Hildebrandt den Bärenanteil des Gesangs und konnte sich bestens bei den zahlreichen Chuck-Berry-Titeln in Szene setzen.

Die Stadthalle war bestuhlt, und zunächst schienen alle froh, daß sie sich Stücke wie „Twist & Shout“ entspannt im Sitzen anhören konnten, nicht mehr diese anstrengenden Twist-Verrenkungen machen mußten. Als es aber im umfangreichen Zugabenteil über Stock und Stein („Sticks and Stones“) nach Las Vegas („Stop me Las Vegas“) ging, auf „Hot Wheels“ und im „Da Do Ron Ron“-Tempo nochmals dieser Abend gefeiert wurde („What a night“), hielt es fast niemanden mehr auf seinem Sitz.

Ein richtig nettes Konzert, an dem die Musiker offensichtlich genausoviel Spaß hatten wie das Publikum.

CHE
28.11.88