Bericht aus der „Szene Hamburg“ von 1986

Der Junge aus St.Pauli mit den magischen Kräften spielt am 13.12. in Knopf's Music Hall

ACHIM REICHEL ist in der Stadt kein Unbekannter. Als Mitglied der legendären Beatcombo „The Rattles“, die in den sechziger Jahren sogar den verwöhnten Engländern enthusiastische Reaktionen entlockte, gehörte der gebürtige Hamburger zu den Hauptverantwortlichen für die vom Star-Club ausgehende, in kürzester Zeit ganz Deutschland erfassende „Rattlemania“, der sich damals kaum jemand, der auch nur ein minimales Interesse an aufregender Tanzmusik hatte, entziehen konnte. Von der Bedeutung dieser Band für die junge Musikszene der Republik zeugt nicht nur der Film „Hurra, die Rattles kommen!“, der 1966 erschien, sondern auch die Tatsache, dass die Gruppe im selben Jahr die Beatles auf ihrer einzigen Deutschland-Tournee begleitete.

Nach der gleichermaßen turbulenten wie erfolgreichen Zeit mit den Rattles, wurde es stiller um den in St. Pauli aufgewachsenen Gitarristen REICHEL. Seine neue Band Wonderland verbuchte zwar mit „Moscow“ noch einmal einen Hit, doch erreichte sie nie die Popularität der vom Star-Club-Besitzer Manfred Weißleder gemanagten Rattles. Auch die in der ersten Hälfte der siebziger Jahre von Achim Reichel & Machines veröffentlichten Alben, die im Unterschied zur Beatmusik des vorangegangenen Dezenniums eher meditativ ausgerichtet waren und „Erholung“ – so ein Titel von 1975 – versprachen, waren keine Bestseller. Größeren Erfolg hatte REICHEL dagegen als Produzent für die LPs der deutschen Gruppen Ougenweide und Novalis.

Mit der Soloarbeit „Dat Shanty Alb'm“ von 1976 macht REICHEL dann auch wieder als Musiker von sich Reden. Als Ergebnis der Rückbesinnung auf seine Herkunft aus einer Hafenstadt überraschte er das Publikum mit Rockversionen plattdeutscher Seemannslieder, die Lust und Leid maritimer Existenz zwischen Hamburg und Haiti plastisch vor Augen führten. Nach der thematisch verwandten LP „Klabautermann“ beschritt Reichel auf „Ungeschminkt“ (1980) neue Wege, indem er die Zusammenarbeit mit modernen Schriftstellern suchte. Besonders intensiv gestaltete sich seine Kooperation mit Jörg Fauser, der auch für die meisten Texte auf dem neuen Album „Eine Ewigkeit Unterwegs“ verantwortlich zeichnet.

Unterstützt von den Berlinern Manne Praeker (Spliff) und Hansi Berendt, ehemals Ideal, singt REICHEL auf seinem jüngsten Werk über die Träume kleiner Leute vom großen Geld, erwägt die Möglichkeit der Reinkarnation und schildert die Atmosphäre in Redlight-Districts großer Städte. Leider teilt REICHEL mit den meisten Vertretern der Sparte „Deutschrock“ einen kompositorischen Traditionalismus, der ihn an bewährte Formen fesselt und seine Musik der Gefahr der Belanglosigkeit aussetzt.

Live muss REICHEL aber über magische Kräfte verfügen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass er 1982 in Bonn die Rockergruppe „Flying Angels“ zum Tanzen gebracht hat.

Rainer Unruh Szene Hamburg – 12/86