Jörg Fauser über ‚Blues in Blond‘

Und irgendwo spielt ein Saxophon gegen den großen Schnee …

Der Mann, von dem in den elf Songs dieser Platte die Rede ist, lebt manchmal auf großem Fuß und manchmal auf kleinem; er hat manches hinter sich, hofft aber, dass er das meiste noch vor sich hat; manchmal steht er als Zaungast herum, manchmal sind aber auch die Blicke auf ihn gerichtet, und dann weiß er, dass der nächste Schritt immer der schwerste ist; er ist ein Träumer, der an seinen Träumen zweifelt, aber er glaubt auch beim Beweis des Gegenteils noch daran, dass diese Welt sein Zuhause ist; er liebt die großen Städte, die schon abgeschrieben sind, und die Frauen, auch wenn sie ihn verlassen; denn als Spieler weiß er, dass nicht das Geld zählt, sondern das, was man dafür bekommt – nicht Sieg oder Niederlage, sondern die Echtheit der Gefühle und die Kraft zum Weitergehen.

Achim Reichel 1981
Achim Reichel 1981

Im 1. Song ist es mitten im Winter, und unser Mann setzt in einem Kasino an der See gerade seinen letzten „Riesen“ - DER SPIELER gewinnt groß, lässt alles stehen und verliert auch alles. Am Ende einer langen Nacht lädt ein Mädchen ihn zu einem großen Spiel ein, und vielleicht ist es dieses Mädchen, von dem es im 2. Song heißt: ICH HAB VON DIR GETRÄUMT. Von einem Feuer ist die Rede, das unserem Mann zwar die Hand verbrennt, ihn aber auch wärmt „gegen Kälte, Eis und Tod“. Dann schlendert er durch die Straßen seiner MAMA STADT und was er sieht ist nicht nur Zerstörung und Kaputtsein, sondern auch das „alte Überleben“, und wenn die Ärzte Mama Stadt das baldige Ende prophezeien, dann macht sie trotzdem weiter und „manchmal auch die Maus zum Sieger“. Unser Mann ist inzwischen in den dunklen Ecken der Stadt hängen geblieben und singt den ECKENLIEGERBLUES, und dabei macht er die Entdeckung, dass es sich auch in den dunklen Ecken der Stadt ganz flott zu Potte kommen lässt – wenn genügend Leute fürs Zuhören zahlen. Im 5. Song hat sich unser Mann vom von seinem Job als Eckenlieger zurückgezogen, aber das große Los scheint er nicht gezogen zu haben – schlaflos liegt er nachts wach, und die Dinge die er sieht und hört, wirken wie SCHATTEN AN DER WAND, wie Requisiten eines Alptraums; wenn wir ihn verlassen um vier Uhr früh, wissen wir, dass seine Reise noch lange weitergehen wird. Also ist er im nächsten Song auch wieder IN EINER FREMDEN STADT gelandet, und obwohl ihm gleich einer klarzumachen versucht, dass er hier nicht hingehört, weiß er doch, was gut für ihn ist an fremden Städten – das Bewusstsein, entweder Schluss zu machen oder wieder neuen Mut zu kriegen. Den hat er dann wohl auch bekommen und eine Frau dazu, eine die zwar kein Bier trinkt, aber Amselliköre, und ein KETTCHEN AM FUSS trägt und Regenbogenstimmung wach werden lässt und das Gefühl, im Schlaraffenland zu rasten.

Vielleicht hat sie ein bisschen dick aufgetragen, vielleicht hat unseren Mann auch nur seine Unrast weiter getrieben, im 8. Song hat er sich woanders einquartiert und wenn er ruft: KOMM IN DIE FALLE, MARIE, dann heißt das auch, dass er sich kein X für ein U vormachen lässt – mit Illusionen kann sich einer nicht lange aufhalten, wenn er weiß, dass es doch nur um „das eine“ geht. Also sind wir nicht weiter überrascht, wenn unser Mann auch von Maries schönen Knien nicht auf Dauer gefesselt werden kann, und stattdessen mal wieder eine Mütze Welt mitnimmt. Was er allerdings beim APOKALYPSO-BALL als neueste Uralt-Masche der Kultur-Kreise mitbekommt, kann ihn nicht dazu animieren, auf den apokalyptischen Knall in dieser Umgebung zu warten, wo sich auch der „Untergang“ noch lohnen muss, und so hören wir dann, statt des angesagten Knalls, den Hall einer Orgel. Ist unser Mann am Ende seiner Reise angelangt? Hat der Spieler nur noch einen Einsatz übrig gehabt – ein Ja-Wort? Fand er als letzten Fixpunkt eine Sphinx, die ihr Schweigen brach und ihm den Sinn des Lebens erschloss? DIE STÄRKSTE SONNE SIEHT MAN NICHT, befindet unser Mann, und die Zweideutigkeit diese Befundes kommt vollends zum Ausdruck im (vorläufig) letzten Fluchtpunkt seiner Odyssee, in der „großen Stadt Berlin“; wieder ist es Winter, wieder hat ihm jemand – eine Lady mit blonden Haaren – Schutz gegen die Kälte geboten, aber diesmal – und deshalb nennt er sie auch BLUES IN BLOND – weiß er von Anfang an, dass ihn seine neue „Fee“ verlassen wird. Was er Blues nennt, ist darum noch kein Kind von Traurigkeit, kein Lamento einer einsamen Seele: Die Furcht ist nur ein Fleck im Mond „und nur ein Narr dein Schmerz“. Und irgendwo spielt ein Saxophon gegen den großen Schnee …

Wikipedia: Jörg Fauser