Pressebericht von 1973

Vom Teenytröster zum Spitzenmusiker

Achim Reichels Wandlung

Der Ex-Gitarrist der Hamburger Rattles fand seinen eigenen Stil
von Winfried Trenkler

Achim Reichel 1973
Achim Reichel 1973

In Achim Reichels Wohnung nahe der Hamburger Außenalster klingelt das Telefon. Deutschlands bekanntester Popstar der sechziger Jahre hebt den Hörer ab. Am anderen Ende bleibt es still.

„Hallo? – Hallo?“ Unterdrücktes Kichern ist die Antwort. Achim Reichel hängt ein. Er stöhnt und grinst zugleich: „Die meisten dieser armen Mädchen kriegen nicht mal den Mund auf. Eines Tages habe ich Ihnen Klopfzeichen vorgeschlagen. Einmal klopfen für ja, und zweimal für nein. Das haben zumindest einige mitgemacht.“

Sie lassen nicht locker
Über fünf Jahre ist es nun her, dass der Sänger und Gitarrist die Hamburger Rattles, die deutsche Popgruppe der „ersten Generation“ verlassen hat. Eine beharrliche Schar von Verehrerinnen lässt aber immer noch nicht locker. Dabei ist es um ihr Idol seit Jahren recht still geworden.

Der Ex-Rattle Achim Reichel hat in dieser Zeit eine Wandlung vollzogen. Viele haben davon einfach keine Notiz genommen. Doch tauchen allmählich die ersten Stimmen auf, die meinen, dass Achim Reichel mit seinen Plattenalben der letzten Jahre Popgeschichte gemacht hat. Vergnügt plaudert er über die alten Zeiten. Ohne Selbstgefälligkeit. Sein Name machte Schlagzeilen, als ihn 1967 das Los der Wehrverpflichtung traf und er die Rattles verlassen musste. Gleich am ersten Tag kam die „Matte“ runter. Ein Stabsunteroffizier witterte ein Geschäft. Er fegte die blonde Haarpracht zusammen, inserierte und verhökerte sie büschelweise. Für 5 Mark das Kuvert.

Auf den Englandtourneen mit den Rolling Stones und Little Richard jubelte man die Rattles zu Stars hoch, und die Mädchen benahmen sich, als hätten sie die Beatles vor sich. Die vier Hamburger kosteten ihr unverhofftes Stardasein voll aus. „Besonders beim Essen in den Hotels ließen wir gern die großen Spezialisten raushängen und schlugen bei jeder Kleinigkeit Krach. Wir drohten mit dem Abbruch der Tournee, wenn wir unsere „Zähne“ (die „Steilen“ wahrscheinlich) nicht mit aufs Zimmer nehmen durften. Und so weiter.“

Achim Reichel

Spätestens beim Kommiss beschloss Achim Reichel, diesen „Oberflächentanz“ nicht länger mitzumachen und den „Teenytröster“ abzugeben. Nach dem Wehrdienst gründete er mit alten Freunden und Les Humphries die Band Wonderland. Nach einem schnellen Hit ging es aber steil bergab und auseinander.

Ein Ventil gesucht
Nach zehn Jahren im Showbetrieb fühlt er sich verschlissen. Er sucht nach ehrlicher Musik. Eine Art Ventil, vor allem für ihn selbst. „Dass man so etwas braucht, merkt man erst richtig, wenn man es jahrelang nicht hat. Etwas, wo es keine zwei Meinungen mehr gibt. Was Spaß macht und stimmt.“ Der Zufall half ihm.

Beim Herumspielen an seinen Gitarren-Effekt-Geräten stieß er auf ein künstliches Echo. Die mechanische Regelmäßigkeit und die fächerförmig aufgereihten Klänge faszinierten ihn. Das Echo wurde zum bestimmenden Stilelement.

Achim Reichel

Etwas für zu Hause
Die Technik wird zum anerkannten Partner. „A.R. & Machines“ steht auf seinen Platten. Elektronische Gitarrenklänge mischen sich mit ihren eigenen Echos, schillern in zahlreichen Klangfarben und wippen und tanzen dahin. Begleitet von ständiger Perkussion, Echogesang und Stimmfetzen. Nichts für die Diskothek, um sich dabei „auszuschütteln“. Eher für zu Hause. Abseits vom unerbittlichen Powerplay der meisten Rockbands.

Die erste LP des gewandelten Achim Reichel, „Die grüne Reise“ erschien vor rund zwei Jahren. Sie ist voll gepfropft mit neuen Ideen. Im selben Jahr nahm er im gleichen Stil das Doppelalbum „Echo“ auf. Und vor kurzem erschien die LP „A.R. 3“ mit etwas härteren Rhythmen.

Es ist nicht die Musik, von der er leben kann. Sein Geld verdient Reichel mit Produzieren und Komponieren. Kaum etwas ist schwerer, als sein altes Image los zu werden: „Es war mir klar, daß man mir die neue Musik nicht abnimmt. Ich habe noch immer gegen meine Vergangenheit anzukämpfen.“

Kölner Stadtanzeiger – Samstag/Sonntag, 20./21.Januar 1973, Rubrik: POP