Pressebericht

Pionierarbeit

Anfang der Siebziger als das zarte Pflänzlein der populären Elektronischen Musik in Berlin und Düsseldorf zu sprießen begann, griff auch der Hamburger Multiinstrumentalist, Sänger und Songschreiber ACHIM REICHEL zur Gießkanne und half mit, es zu bewässern. Jetzt ist auf dieser CD noch einmal zu hören, welche Experimente die Deutschrock-Institution von 1971 bis 1975 unter dem Pseudonym A.R. & Machines und auf insgesamt sechs Alben („Die grüne Reise“, „Echo“, „A.R. 3“, „A.R. 4“, „Autovision“, „Erholung“) den Pionierarbeiten von Tangerine Dream, Ash Ra Tempel und Kraftwerk entgegensetzte: kaum weniger wunderbare elektrisch-elektronische Klänge (Hauptquelle: ARP, Mellotron, Gitarre), die er mithilfe diverser Musiker und einer zum Echogerät umfunktionierten Bandmaschiene (Akai X-3300) zu organisch fließenden Miniaturen montierte. Ein Vierteljahrhundert lang waren diese Aufnahmen nur auf Plattenbörsen zu finden, meist auf schwer verschrammten Originalvinyl oder auf minderwertigen Raubpressungen, immer aber gegen teures Geld. 1998 genießen sie unter traditionsbewussten Trance- und Goajüngern Kultstatus. Zu Recht, denn nur zwei der für die vorliegende Veröffentlichung digital überarbeiteten Antiquitäten fallen aus dem Raster heraus: Track 15 (A.R. auf Amon-Düül-Pfaden) und Track 16 (ein Saxophon-Shuffle mit Klaus Doldinger/Passport-Charakter). Hätte der Gitarrist REICHEL das Experimentieren mit der Elektronik nicht Mitte der Siebziger ob einer gnadenlos niedermachenden Musikkritik aufgegeben, um sich als Shanty-Sänger zu profilieren, würde sein Name heute vielleicht in einem Atemzug mit dem eines Manuel „Aschra“ Göttsching oder Michael Rother genannt werden. Nicht nur Track 2 („10 Jahre Lebenslänglich“, Anspieltip!) beweist: das Können und die Inspiration dazu hatte er.

Albrecht Piltz, KEYBOARDS, 8/98